Heißes Eisen
solche Liebe im Slum knospen, geschweige denn überleben kann, verwundert mich immer wieder. Offen gestanden ist es mir sogar völlig unverständlich. In den wohlhabenderen Elendsvierteln scheint die Jugend im Gegensatz dazu ihre nächsten Verwandten als erstes abzuschlachten.
Der Slum ist eben eine andere Welt. Dort herrschen andere Spielregeln.
Block blieb stehen. Ich ebenfalls. Er schien Probleme mit der Richtung zu haben. Nervös sah ich mich um. Wir wirkten zu wohlhabend. Aber die Straßen waren verlassen.
Vielleicht war ja der Regen schuld. Aber insgeheim bezweifelte ich das. Es lag was in der Luft.
»Hier entlang«, befahl Block, und ich folgte ihm, wachsamer diesmal. Niemand begegnete uns, bis wir auf ein paar Leute stießen, die offensichtlich zur Wache gehörten, obwohl auch sie in Zivil waren. Sie spähten verstohlen aus einem Gang zwischen zwei Häusern heraus, die vielleicht zu ihrer Glanzzeit einmal bedeutend gewesen sein mochten. Sie waren durchschnittlich groß wie alle Gebäude im Slum. Die Männer zogen sich sofort wieder in den Gang zurück.
Meine Anspannung wuchs. Sollte ich tatsächlich mit einem Kerl in diese finstere Gasse treten, der mich sowenig leiden konnte wie Block? Andererseits: So schlimm konnte es nicht sein. Immerhin hatte ihn seine Abneigung nicht daran gehindert, mich auf diese Party mitzuschleppen.
Ich trat in den Durchgang und wäre fast über einen tattrigen Greis gestolpert. Er wog allerhöchstens siebzig Pfund und war nur noch Haut und Knochen. Es wunderte mich, daß er noch genug Kraft hatte, zittern zu können. Die Totengräber würden ihn ziemlich bald einsacken.
»Ganz hinten«, erklärte Block.
Es gefiel mir nicht. Aber ich ging trotzdem mit. Und wünschte mir sehr schnell, ich hätte es nicht getan.
Ich rede mir gern ein, daß ich während meiner Dienstzeit bei den Marines solide Hornhaut auf meinen Gefühlen entwickelt habe, aber das liegt nur daran, daß meine Vorstellungskraft sich keine Schrecken ausmalen kann, die diejenigen aus dem Cantard übertreffen. Tatsächlich glaube ich, daß es kein Teufelswerk gibt, das mich noch überraschen könnte.
Und die Wirklichkeit widerlegt mich immer wieder.
An einer Stelle, wo früher Lieferanten ihre Waren abgegeben haben mochten, gab es einen freien Fleck. Ein paar Soldaten der Wache standen unbehaglich herum und trugen Fackeln, deren flackerndes Licht die Dunkelheit erhellte. Die Männer sahen aus, als hofften sie, daß der Regen die Fackeln löschte.
Konnte ich ihnen nicht verdenken.
Sie war etwa zwanzig, splitternackt und mausetot.
Eigentlich nichts Besonderes. So was gibt's oft.
Aber nicht so wie bei der hier.
Jemand hatte sie an Händen und Füßen gefesselt und sie dann kopfüber an einem Balken aufgehängt. Danach hatten sie ihr die Kehle durchgeschnitten, sie ausbluten lassen und wie eine Jagdbeute ausgenommen. Der Boden unter ihr war nicht blutig, obwohl jeder Mensch überraschend viel von diesem Saft in sich hat. »Sie haben das Blut aufgefangen und mitgenommen«, knurrte ich. Die Abendessen eines ganzen Monats drohten mir hochzukommen.
Block nickte. Er hatte auch Probleme mit dem Anblick, genau wie seine Jungs. Zudem waren sie stinksauer. Mir ging es genauso, aber ich hatte noch keine Zeit gehabt, richtig in Fahrt zu kommen.
Rätselhaft blieb, warum man sie ausgenommen hatte. Vielleicht wegen ihrer Organe. Jedenfalls hatte man ihre Innereien auf den Boden fallen lassen, aber sie waren jetzt natürlich weg. Die Hunde hatten sie geholt. An ihrer Leiche hatten sie ebenfalls herumgeknabbert, aber der Schaden war geringer. Das Gebell und Geknurre um die Beute hatte überhaupt zur Entdeckung des Leichnams geführt.
»Das hier ist die fünfte, Garrett. Und bei allen ist es gleich abgelaufen«, erklärte Block.
»Alle im Slum?«
»Das ist die erste. Von der wir erfahren haben, jedenfalls.«
So was konnte hier jeden Tag passieren ... Ich betrachtete sie noch mal. Nein. Selbst hier im Slum gab es Grenzen für die Verrücktheit. Sie töten nicht aus Spaß oder aus rituellen Gründen, sondern aus Leidenschaft oder weil ein Mord ihnen direkt oder indirekt die Mägen füllt. Dieses Mädchen hier mußte von einem Wahnsinnigen umgebracht worden sein.
»Sie kommt von draußen«, stellte ich fest. Aus dem Slum stammte sie nicht, dafür war sie zu wohlgenährt und zu hübsch.
»Keins der Mädchen stammt aus dem Slum, Garrett. Man hat sie überall über die ganze Stadt verteilt gefunden.«
»Ich habe davon noch
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