Heißes Geld
Henry W. Feller das Dingsbach-Gefühl: eine Enttäuschung darüber, daß er so rasch und glatt ans Ziel gekommen war. Dann spürte er eine Erregung, die stärker war als die Spannung der letzten Tage. Der Doppelagent konnte ihm eine falsche Bank gezeigt haben und morgen an der richtigen stehen, um die gesamte Summe allein zu kassieren. Der Anwalt müßte also Linsenbusch auf den Hacken bleiben, und der eine würde ihn zu dem anderen führen. Wie die Dinge lagen, lieferten sich die beiden bald ein mörderisches Duell, und dann könnte er sich den Sieger greifen. Im Grunde genommen handelte es sich bei den Akteuren des morgigen, letzten Gefechts um drei Gauner, aber einer von ihnen wäre ein Moralist.
Nareike war müde angekommen; er hatte in der Nacht zum Samstag kaum geschlafen, aber dieses Mal war seine Ruhelosigkeit nicht von der Blondine im Nachbarapartment, deren Körper durch ein Gentleman's Agreement zur Sperrzone erklärt worden war, verschuldet worden. Der Mann, der von seiner falschen Witwe geliebt und gefürchtet, geschätzt und bedroht wurde, und, nach einem gescheiterten Mordversuch an ihr, vor ihr flüchten wollte, laborierte in diesen Stunden nicht an hormonellen Versuchungen, sondern an einem massiven Goldrausch: Er zählte Geld, die ganze Nacht lang, bündelte es und verstaute es in seinem noblen Bordcase. Er überlegte, ob das Behältnis auch ausreichte, falls die Bank nicht genügend große Dollar-Scheine vorrätig hätte. Natürlich wäre es besser gewesen, sie anzurufen und auf seinen Besuch vorzubereiten, aber Nareike wollte keine schlafenden Hunde wecken. Lieber würde er eine womögliche Restsumme in einem rasch zusammengeschnürten Paket die wenigen hundert Meter zum Hotel tragen.
Auf der Fahrt nach Locarno hatte er Hannelore noch einmal beschwichtigt und behauptet, das letzte Flugzeug nach München wäre voll ausgebucht gewesen, so daß er erst mit der Samstagmittagmaschine ankommen könne. Sie hatte die abermalige Verschiebung verhältnismäßig gelassen aufgenommen, aber doch auch mit stummem, wenn auch hörbarem Misstrauen. Es wäre wohl das letzte Gespräch gewesen, das er je im Leben mit ihr geführt hätte. Heute Mittag würde er Hannelore noch ein Hinhaltetelegramm schicken, aber ab 20 Uhr 11 für immer aus ihrem Leben verschwinden. Mehr konnte man wirklich nicht aus einer eigentlich desperaten Situation machen. Er würde Sabine später seinen Namenswechsel als Steuermanöver erklären, und das wäre durchaus einleuchtend, denn wer wollte schon rund fünf Millionen Mark mit dem Finanzamt teilen?
Es war längst hell, aber Nareike zwang sich, liegenzubleiben und seine nähere Zukunft immer wieder durchzugehen. Seitdem er es gewagt hatte, nach 17 Jahren erstmals die Grenze zu überschreiten, fühlte er sich als Freischwimmer, der ein wenig mit sich haderte, sich nicht längst in tieferes Gewässer vorgewagt zu haben.
Kurz nach acht ging er ins Bad, duschte und rasierte sich. Er stellte fest, daß man seinem Gesicht die schlaflose Nacht ansah, aber einskommazwei Millionen Dollar und eine junge Frau, nach der sich jeder in der Hotelhalle, vor allem diese lauten Amerikaner, umdrehen würden, wären wohl der richtige Balsam, die zerfurchte Haut wieder zu glätten.
Er klopfte an und betrat Sabines Zimmer.
»Mein Gott – siehst du aus«, sagte sie. »Schlecht geschlafen?«
»Die Luftveränderung«, erklärte er.
»Wie wirst du da erst in Rio aussehen, wo die Luftveränderung wohl noch viel größer ist.«
»Diese Reise wird für mich zur Verjüngungskur«, behauptete er und setzte sich auf Sabines Bett. Er übersah ihre unbewußte Abwehrreaktion. »Du bist doch für mich wie ein Jungbrunnen. Frühstücken wir zusammen?« fragte er.
»Wenn du mir eine Viertelstunde Zeit gibst«, antwortete sie, sprang aus dem Bett und verschwand im Badezimmer. Die Türe stand offen, und er sah sie in dem großen Wandspiegel: Ihren schönen langen Nacken, die zierlichen Schultern, den kleinen festen Busen, die schmalen Hüften. Er roch ihre Haut, und alle Sorgen, Nöte, Träume und Pläne verschmolzen zu dem einen Drang, sich auf Sabine zu stürzen wie ein Hengst in der Brunft, sie zu überrumpeln, zu reißen, zu nehmen. Sekundenlang drohte ein animalisches Verlangen jegliche Besinnung auszulöschen, drohte eine Stichflamme zum Steppenbrand zu werden.
Solange überließ sich Nareike lasziven Vorstellungen, animierte und quälte, verführte er Sabine und zwang sie zu Verrenkungen und Positionen, zu
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