Heißes Geld
Littlesmith weiter. »Der Sergeant als Fahrer vorne, ich hinter ihm und rechts neben mir diese gefesselte Halbleiche, solide Stahlzwingen übrigens. Wir fuhren los. Es war dunkel, die Straße vereist. Den Nebel hatten wir im Hirn. Vor allem Myers. Er fuhr viel zu schnell. Ich stauchte ihn zusammen. Aber Myers fuhr wie ein Selbstmörder. Kurz bevor wir die Autobahn nach Stuttgart erreicht hatten, kamen wir zum dritten- oder viertenmal ins Schleudern. Ich beugte mich nach vorne und schiß den Driver an: ›Son of a bitch‹, fluchte ich, ›entweder fährst du jetzt anständig, oder ich jag' dich weg vom Steuer!‹
In diesem Moment geschah es. Linsenbusch mußte an meine Aktentasche gekommen sein, hatte sich die Pistole gegriffen, mit gefesselten Händen, und sie entsichert. Er preßte mir den Lauf an die Schläfe: ›Keine Bewegung!‹ brüllte er. ›Rechts raus!‹ In der Schrecksekunde trat Myers die Bremse durch. Der alte ›Chevy‹ drehte sich um die eigene Achse und knallte wie ein Geschoß gegen einen Baum. Beim Aufprall hat sich der Fahrer den Schädel eingeschlagen. Linsenbusch und ich wurden herausgeschleudert, einer rechts, der andere links, aber der Kerl kam schneller auf die Beine als ich. Und er hatte noch immer die Pistole, legte wieder an, zwang mich, ihm die Handschellen aufzusperren.« Littlesmith' Gesicht hatte jetzt die gleiche Farbe wie die Narbe. Die Erinnerung mußte seinen Blutdruck sichtbar erhöht haben. »Sag einmal in einem solchen Fall nein«, fuhr er fort. »Ich verzögerte es, solange es ging. Als die Fesseln aufsprangen und seine Gelenke noch klamm sein mussten von der unterbrochenen Blutzirkulation, stürzte ich mich auf ihn. Ergebnis: Ein Bauchschuss, ein Steckschuss in der linken Lunge und ein Streifschuss an der Schläfe. Wir wurden zwar eine Stunde später gefunden, aber Myers war tot und ich im Koma. Ich wurde operiert. Als ich dann bei der Vernehmung die Zusammenhänge klarmachen konnte, hatte Linsenbusch schon fast zwei Tage Vorsprung. Steht das nicht in den Akten?«
»Nein«, entgegnete Feller. »Die Aufzeichnungen enden mit dem Gerichtsurteil. Es liegt nur ein Vermerk bei, daß Sie Linsenbusch bei einem Ausbruch niedergeschossen hat.«
»Na, dann kennen Sie ja jetzt meine Heldentat«, versetzte Littlesmith. »Sie haben ganz Germany auf den Kopf gestellt, um ihn zu finden. Aber das Land war in vier Zonen aufgeteilt; es gab nur ganz wenig Zeitungen, und die erschienen auch nur zweimal mit je vier Seiten in der Woche. Die Kommunikation war miserabel. Als ich über dem Berg war, kam ein General aus Heidelberg, baute sich vor mir auf und schüttelte den Kopf: ›Ich gebe Ihnen eine Chance‹, sagte er, ›Greifen Sie ihn sich. Machen Sie es, wie sie wollen, aber schnappen Sie diesen gottverdammten Hund.‹ Es war nicht so«, sagte Littlesmith mit einem bösen Lächeln, »daß die mich für einen Meisterfänger gehalten hätten. Sie wollten mich nur wie einen jungen Köter mit der Schnauze in den Shithaufen drücken.«
»Wie ich fürchte – ohne Erfolg.«
»Keiner hat es geschafft. Ich nicht und andere nicht. Ich glaube, wir haben 50 oder 100 falsche Linsenbuschs gegriffen, aber den richtigen nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Natürlich fahndeten wir auch nach seiner Frau. Ich brauchte ein paar Wochen, bis ich überhaupt ihren Vornamen erfuhr – Hilde, oder Hanna, oder Hannelore. – Ich hab's wieder vergessen.«
Feller nickte. »Ausland?« fragte er dann. »Ist er durch die berüchtigte Nazi-Schleuse via Italien nach Südamerika entkommen?«
Der Excaptain schüttelte den Kopf: »Möglich, aber unwahrscheinlich. Im Prozess hatte Linsenbusch, um seine Haut zu retten, schonungslos die Nazipraktiken aufgedeckt. Er hatte sich schon vor unserem Einmarsch mit der WVHA-Spitze überworfen und konnte sich damals nur durch Protektion noch durchbringen.«
»Glauben Sie, daß er auf der Flucht umgekommen ist?«
»Nicht ausgeschlossen. In diesen unruhigen Zeiten gab es Hunderte von schlampig identifizierten Toten.«
»Aber sie haben trotzdem auch in Südamerika nachgeforscht?«
»Natürlich. Wir haben auch die Jewish Agency bemüht, die uns oft mit hervorragenden Tipps bedient hat.« Man sah Littlesmith die Verzweiflung von damals heute noch an. »Nichts zu machen. Sie können sich darauf verlassen, daß ich nichts unversucht ließ. 17 Monate lang hatte ich keinen anderen Wunsch, Gedanken oder Traum, als dieses Monster endlich in die Finger zu kriegen. So lange, bis
Weitere Kostenlose Bücher