Heißes Geld
Halle. Gruß Sigi.«
Der Amerikaner ließ sich verbinden: »Ich hab' noch keinen Bauch, Sigi«, sagte er lachend. »Du kannst mich ruhig als Adonis in der Badewanne bewundern, wenn du willst.«
Er saß bis zum Hals in Schaum, als der Freund eintrat, herzhaft lachend kam er näher, untersetzt, einer, der mit beiden Beinen auf der Erde steht, wenn mit dem linken auch nur mit einer Prothese. Sigi Geliert war etwas runder geworden, wie es einem Mann auch ansteht, der Ilona geheiratet hatte, die Halb-Ungarin mit den phantastischen k.u.k.-Küchenkünsten.
Sigi und Ilona zogen zwei Kinder groß, einen Jungen und ein Mädchen, nach ihren fernen Paten Henry und Jessica genannt.
Die Freunde begrüßten einander herzlich. Die Situation ersparte ihnen die spröde Männerumarmung. Sie hatten nie den Kontakt miteinander verloren, ihn aber der großen Entfernung wegen auch nicht sehr intensiv gepflegt. Wie schon bei ihrer Begegnung vor drei Jahren in New York standen sie sich gegenüber, als hätten sie sich gestern das letzte Mal gesehen.
»Müde vom Flug?« fragte Sigi.
»Nicht die Spur«, antwortete Henry.
»Gut so«, antwortete der Freund und warf ihm ein Badetuch zu. »Genug geplanscht. Ich hab' Neuigkeiten für dich.« Sigi sah behäbig aus, aber er war ungeduldig wie ein Rennpferd vor dem Start. Vollblut; er ging ins Apartment zurück, um das Frühstück zu bestellen. Als der Amerikaner aus dem Bad kam, standen bereits Cornflakes, zwei Eier im Glas, Schinken und frische Brötchen auf dem Tisch – wie gehabt, vor vierzehn Jahren: »Also«, schoß Sigi los, »den Kindern geht's gut. Wir fahren später zu uns, Ilona lädt dich zum Mittagessen ein, es gibt Pörkelt mit Spätzle und hinterher Palatschinken – deinen Diätplan kannste im Koffer lassen.« Ohne Übergang wurde er sachlich: »Also, dieser Linsenbusch ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben; er wird weder beim Verfassungsschutz, noch beim Bundesnachrichtendienst in der Kartei geführt.«
»Das heißt also, daß sich keine deutsche Dienststelle mit diesem Erpresser und Mehrfachmörder befasst?«
»Keine deutsche Dienststelle, keine amerikanische und auch keine französische«, erwiderte der Kriminalrat: »Überhaupt keine.«
»Kriegsverbrecher müßte man sein«, versetzte Feller rabiat. »Ist das nicht unvorstellbar?«
»Und ob«, entgegnete Sigi. »Aber die Wut darüber bringt uns keinen Schritt weiter. Linsenbusch wurde 45 verhaftet, und zwar von den Alliierten, die damals das Monopol für die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher eifersüchtig gehütet hatten; sie verurteilten ihn zum Tode, vorsorglich gleich zweimal; aber der Kerl hat sich seiner Hinrichtung durch die Flucht entzogen. Inzwischen sind alle Todesurteile – soweit nicht vollstreckt – auf dem Gnadenwege von den Alliierten ebenso wie alle Freiheitsstrafen aufgehoben worden. Die Bundesrepublik hat ihre Souveränität zurückerhalten, und im Überleitungsvertrag mit den Siegermächten steht, daß die deutschen Gerichte keinen Fall mehr anrühren dürfen, der von den Militärgerichten in der Besatzungszeit bereits behandelt worden ist. Man wollte verhindern, daß Naziverbrecher nachträglich rehabilitiert würden – aber der Schuß ging genau nach hinten: Die bekannten Massenmörder wurden begnadigt und beantragten womöglich noch Pensionen«, stellte Sigi, ebenso wie sein Freund Jurist, fest: »Da tummeln sich noch ganz andere Kaliber als dieser Linsenbusch in einem idiotischen Naturschutzpark.«
»Und niemand unternimmt etwas dagegen?«
»Doch«, entgegnete der Kriminalrat. »Dieser verdammte Überleitungsvertrag soll durch ein Zusatzabkommen korrigiert werden. Aber der Bundestag benimmt sich dabei, als wollte er in das ›Buch der Rekorde‹ als langsamste Schnecke der Welt eingehen. Die Parteien buhlen um Wähler, und die Nazis hatten ja mal die Mehrheit in Großdeutschland.« Der Mann, der wußte, daß ihn Zorn keinen Schritt weiterbrächte, war nun doch in Rage geraten; er betrachtete seinen Freund aus New York irritiert: »Aber ganz so schlafmützig sind wir nun auch wieder nicht«, fuhr er fort. »Seit drei Jahren gibt es die Zentralstelle in Ludwigsburg, die sich ausschließlich mit NS-Verbrechen befasst. Sie hat keine Exekutionsbefugnis, aber sie sammelt systematisch Informationen: Die ehemals besetzten Länder sind in Sachgebiete aufgeteilt, so daß die Beamten zu Experten wurden. Es gibt in Ludwigsburg Spezialisten für Polen, für Russland, für Holland, und natürlich
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