Heißes Geld
wie würden Sie erfahren, wenn …« Hannelore wich seinem Blick aus und sprach, als habe sie den Text auswendig gelernt, »wenn mir etwas zustoßen sollte?«
»Sollten Sie sterben – was wir nun wirklich nicht so bald erwarten wollen – muß ein Arzt Ihr Ableben diagnostizieren und einen Totenschein ausstellen, der dann auf den langen Weg durch die Instanzen geht: Amt für öffentliche Ordnung, Standesamt, Bestattungsamt und zuletzt Nachlassgericht. Diese Behörde stellt automatisch fest, daß zum Beispiel das Notariat Dr. Erlwein in Ihrem Auftrag ein Testament deponiert hat und öffnet es amtlich.«
»Das geschähe in jedem Fall erst nach meinem Tod?« fragte die Klientin.
»Selbstverständlich«, versicherte der Notar. Er merkte, daß er diese umständliche Klientin nicht so leicht loswerden würde und nutzte die Zeitverschwendung als Zigarrenpause.
Gedämpft wurde der Straßenlärm nach oben gespült: Autos hupten übereifrig; Bremsen quietschten. Der Föhn folterte die Stadt, machte die Berge im Hintergrund bläulich und die Menschen fahrig; er würde zu Verkehrsunfällen und Selbstmorden führen. Hannelore setzte darauf, daß ihre Befürchtungen nur Föhngespinste wären, – aber wenn sie sich absicherte, würde es nicht mehr kosten, als das Notariatshonorar, und sie könnte künftig beruhigt schlafen, mit oder ohne Föhn.
»Gilt diese Diskretion auch«, fragte sie zögernd, »wenn die Polizei – ganz gleich aus welchem Grund – ein Interesse daran hätte, den Inhalt meiner letzten Verfügung zu meinen Lebzeiten kennen zu lernen?«
»In der Regel auch dann«, antwortete der Notar und zog unwillig an seiner Brasil. »Denken Sie – sagen wir mal – ans Finanzamt?«
»Ich versuche an alles zu denken«, erwiderte die schrullige Klientin. »Eine letzte Frage, Herr Doktor: Ich könnte dieses Testament auch jederzeit wieder zurückziehen und durch ein neues ersetzen, falls mir das nötig erscheint?«
»Aber ja, gnädige Frau.«
Hannelore bat um einen Raum, in den sie sich zurückziehen könnte, und der Notar erhob sich sofort. »Mein Kollege wird Sie, falls nötig, bei der Abfassung Ihres Letzten Willens beraten. Da es sich um eine etwas – außergewöhnliche Verfügung zu handeln scheint, möchte ich Ihnen raten, sie mit der Hand niederzuschreiben.« Dr. Erlwein betrachtete die Besucherin einen Moment wie der Fotograf, der das Polizeifoto schießt: »Sollten Sie in persönlichen Schwierigkeiten sein«, sagte er so beiläufig wie möglich, »dann würde ich Ihnen natürlich empfehlen, einen Rechtsanwalt zu konsultieren.«
»Aber nein, Herr Doktor«, erwiderte Hannelore rasch.
»– oder sich vielleicht sogar an die Polizei zu wenden –«
»Wirklich nicht nötig«, versetzte die Klientin. »Ich bin ja hier um Ordnung zu schaffen.«
Hannelore wurde in einen ungenutzten Raum geleitet, erhielt einen Vordruck und eine formale Belehrung. Sie wartete, bis sie allein war, und dann schrieb sie:
MEIN LETZTER WILLE
»Hiermit setze ich meinen Ehemann Horst Linsenbusch als Alleinerben meines gesamten Besitzes ein. Er lebt unter dem Namen Werner Nareike in Essen-Kettwig als Geschäftsführer der Firma Müller & Sohn GmbH.
Ich muß gestehen, daß ich die Behörden durch eine falsche Eidesstattliche Erklärung irregeführt habe; sie ist unter dem Druck meines Mannes zustande gekommen, und ich bedaure, mich strafbar gemacht zu haben, indem ich wider besseres Wissen behauptet hatte, ihn seit Kriegsende nicht mehr gesehen zu haben. Wir standen im ständigen brieflichen und telefonischen Kontakt und haben seit vielen Jahren jeweils im August den Urlaub in Dingsbach (Karwendelgebirge) im ›Haus Wetterstein‹ zusammen verbracht.
Ich schreibe dieses Testament freiwillig und im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Kräfte im Notariat Dr. Erlwein, München, Kaufingerstraße, nieder.«
Hannelore setzte noch das Datum ein und unterschrieb. Sie wunderte sich, daß die Buchstaben bei ihrer selbstschützenden Erpressung so sauber und ordentlich nebeneinander standen wie die Soldaten einer Ehrenkompanie.
»Fertig«, sagte sie zu dem Bürovorsteher. »Kann ich das selbst fotokopieren?«
»Aber ja, gnä' Frau.« Er erklärte ihr die Handhabung des Apparats.
Hannelore machte ein Ablichtung, eine einzige. Sie faltete die Kopie sorgfältig zusammen und steckte sie in ihre Handtasche.
Der Notar prüfte ihren Paß, trug die Nummer ein, dann versiegelte er in ihrer Gegenwart das Testament, und Hannelore
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