Heißes Geld
gewohnt, es immer bei sich zu haben, und soführte er es mit sich, wie ein abgemusterter Zirkusgaul auf der Gnadenweide immer noch seine Manegerunden dreht.
Er hatte sein Fluchtgepäck im Kofferraum seines Wagens gelassen und nahm jetzt nur eine kleine Aktenmappe mit sich, und in der Hosentasche eine in ein Papiertaschentuch eingewickelte Giftphiole, nur eine der beiden Himmler-Kapseln, da die Dosis für seinen Zweck genügte und ein doppeltes Quantum doch durch Verfärbung und zu viel Mandelgeschmack auffallen könnte.
Er bestellte noch einen Schnaps, den zweiten und letzten. Er trank mit Bedacht. Nicht zuviel, um keinen Fehler zu begehen, aber einen ordentlichen Schluck Zielwasser brauchte er. Nareike warf einen Geldschein auf den Tisch und erhob sich gegen 20 Uhr 30, um das Unvermeidliche hinter sich zu bringen.
Obwohl die Sonne bereits hinter den Dächern verschwunden war, trug er eine dunkle Brille. Einen Moment lang stand er in der Hotelhalle des ›Regina‹ unter den vielen Müßiggängern. Dann schob er sich langsam auf die Treppe zu und ging nach oben; niemand achtete darauf, niemand begegnete ihm, als er hinaufging, keiner sah ihn, als er sich zielstrebig dem Apartment 111 näherte.
Er war darauf konzentriert, die drei Fehler, die ihm unterlaufen könnten, zu vermeiden: Er durfte das Sektglas nicht verwechseln, mußte, wenn Hannelore ihren Schierlingsbecher ausgetrunken hätte, sein Glas ausspülen und in den Schrank zurückstellen und dann beim Verlassen des Raums unbedingt die viersprachige Aufforderung:
BITTE NICHT STÖREN
DO NOT DISTURB
PRIERE DE NE PAS
DERANGER NON DISTURBARE
an die Außentüre hängen.
BITTE NICHT STÖREN – bis morgen Mittag würde die Totenruhe nicht unterbrochen werden. Das Schild hielte das Personal bis weit in den Tag hinein fern; frühestens gegen 14 Uhr könnte das Zimmermädchen unruhig werden und sich an die Hoteldirektion wenden, die mindestens bis 16 Uhr zögern würde, bevor sie die Türe von außen aufsperren ließe. Schätzungsweise gegen 17 Uhr füllte dann der Arzt den Totenschein aus und verständigte die Polizei, die auf den ersten Blick annähme, daß es sich hier um einen Selbstmord handle.
DO NOT DISTURB – es wäre ja allgemein bekannt, daß Selbstmörder mit Vorliebe den letzten Akt in ein Hotel verlegen. Die Psychologen lehren, daß der Mensch sein Leben wegwürfe, wenn er den Höchstwert verloren hätte, der Geld sein kann, Liebe, Gesundheit, Erfolg oder Familie. Bei einer Alleinstehenden, die in freiwilliger Isolation lebte, ihren einzigen Sohn und fast gleichzeitig ihren Mann verloren hatte, brauchte man wohl nach ihrem verlorenen Höchstwert nicht lange zu suchen. Sollte die Polizei aber von dem Tod aus eigener Hand nicht sofort überzeugt sein, würde sie Ermittlungen anstellen, und die begännen bei der Rezeption, und hier wüsste man, daß ein gewisser Archibald Graf Schenk die Reservierung des aufwendigen Apartments für die nicht vermögenslose Alternde veranlasst hatte und womöglich nach einem Täter fahnden, dessen Gesicht und Identität sie nicht kannte.
PRIERE DE NE PAS DERANGER – das Hotel stünde vor einem größeren Problem, aber es hätte seine Erfahrungen und wüsste, wie man in der Hochsaison bei voll ausgebuchtem Haus unbemerkt einen Sarg mit einer Toten durch den Lieferanteneingang wegschaffte. Keine Zuschauer und keinerlei Gerüchte, das Hotelpersonal wäre zu größter Diskretion erzogen. Hannelores Leiche würde in das gerichtsmedizinische Institut eingeliefert und durch Autopsie die genaue Todesursache festgestellt werden.
NON DISTURBARE – es gäbe keinen Zweifel: Zyankali. Natürlich würde man sich fragen, wie eine Alleinstehende an das rasch und immer tödlich wirkende Gift gekommen wäre – aber dieses Rätsel würde niemals gelöst werden. Wer dächte schon an die Himmler-Kapseln, die vor 18 Jahren an einige Privilegierte des Dritten Reiches ausgegeben worden waren.
Als Werner Nareike anklopfte, herrisch und ungestüm, schreckte die einsame Frau in Apartment 111 hoch. Er stand vor Hannelore, groß, lächelnd, verjüngt. Er trug einen modischen Anzug, ein weißes Hemd, gebräunte Haut und sichtbare Zufriedenheit. Er stellte seine Mappe ab, trat an seine Frau heran, beugte sich zu ihr hinab, küsste sie und verzog das Gesicht, als Hannelores Wimpern seine Gesichtshaut berührten. Er schob sie ein wenig weg und betrachtete ihr erblondetes Haar, und er meinte, eine Vogelscheuche zu sehen, der man eine Perücke
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