Heißes Versprechen
hatte noch nicht einmal die sonst übliche Höflichkeit walten lassen und früh gegessen, um sich dann in seine Bibliothek zurückzuziehen. Stattdessen thronte er in voller Größe am Tisch und unterhielt sich freundlich mit Bernice, als wäre überhaupt gar nichts vorgefallen und als sei gestern Abend nichts Außergewöhnliches geschehen. Genau das war ja auch der Fall, ermahnte sie sich verbissen. Nichts hatte sich geändert.
»Guten Morgen, meine Liebe.« Bernice’ blaue Augen leuchteten erfreut auf, als sie Madeline erblickte. »Du wirkst heute Morgen frisch wie eine erblühende Rose. Wie ich sehe, haben meine Elixiere gute Wirkung gezeitigt. Ich werde dir heute Abend noch eine Flasche mitgeben müssen.«
Madeline bemerkte das amüsierte Aufblitzen in Artemas’ Augen. Sie warf ihm einen eisigen Blick zu und wandte sich wieder ihrer Tante zu.
»Guten Morgen«, grüßte sie höflich.
Ein merkwürdiger Ausdruck huschte für den Bruchteil einer Sekunde über Bernice’ Gesicht.
Madeline wandte sich sofort der Anrichte zu und gab vor, den Inhalt verschiedener silberner Schüsseln zu studieren, die dort aufgereiht standen.
Zu ihrem Entsetzen fuhr Bernice mit ihrem unschuldigen Geplapper fort. »Ich muss schon sagen, so erfrischt habe ich dich seit langem nicht gesehen, Madeline. Wirkt sie nicht wunderbar ausgeruht, Artemas?«
»Es geht doch nichts über eine Nacht guten Schlafes«, stimmte Artemas erstaunlich gleichmütig ein.
Trotz ihres Vorhabens, so zu tun, als ob gar nichts vorge-fallen sei, betete Madeline dennoch, der Boden möge sich vor ihr auftun und sie verschlucken.
»Herr Hunt hat mir gerade von den schrecklichen Vorkommnissen der letzten Nacht berichtet«, sagte Bernice.
»Er hat dir davon berichtet ?« Madeline ließ den Vorlegelöffel auf das Tablett fallen und fuhr herum. Wütend musterte sie Artemas. »Er hat dir tatsächlich erzählt, was in der vergangenen Nacht vorgefallen ist?«
»Aber ja doch, meine Liebe.« Bernice machte ein tadelndes Geräusch. »Ich muss gestehen, ich war bis auf die Knochen schockiert.«
Madeline schluckte. »Nun, ich kann es erklären ...« Hilflos brach sie ab.
Artemas’ Lippen formten eine ironisch-belustigte Linie.
»Natürlich ist Ihre Tante sehr besorgt.«
»Ich habe guten Grund, besorgt zu sein«, stimmte Bernice zu. »Auf offener Straße vor dem Club angegriffen zu werden, Sir, das ist einfach unglaublich. Dieser Schurke wird meiner Ansicht nach ein wenig zu dreist. Ich kann nur hoffen, dass Sie ihn bald dingfest machen.«
Vor Erleichterung wurde Madeline ganz schwindelig. Eilig nahm sie auf dem nächstgelegenen Stuhl Platz und schaute Artemas stirnrunzelnd an. »Wissen Sie schon etwas Neues, Sir?«
»Wie es sich trifft, habe ich mich heute in der Frühe bereits mit Zachary getroffen«, erwiderte Artemas, der sich noch mehr als gewöhnlich zu amüsieren schien. »Wir haben das Zimmer gefunden, in dem sich der Vanza-Kämpfer versteckt hatte, und haben uns dort umgesehen. Zu meinem Bedauern haben wir keinen nützlichen Hinweis gefunden, doch Zacharys Augen und Ohren arbeiten bereits fieberhaft. Früher oder später wird mir einer von ihnen etwas zutragen, was uns weiterhelfen wird.«
Madeline war verblüfft. Seit Stunden war er bereits auf den Beinen, war aus dem Haus gegangen, hatte sich mit Zachary beraten, hatte das Versteck des Schurken ausfindig gemacht und war dann zum Frühstück zurückgekehrt - und all das, bevor sie auch nur aufgestanden war.
Er hatte sich mit genau jenen Aufgaben befasst, für die sie ihn eingestellt hatte, sagte sie sich. Dennoch empfand sie sein geschäftsmäßiges Auftreten als irritierend.
Er tat gerade so, als ob sich rein gar nichts verändert habe.
Eine Stunde später besuchte Bernice Madeline in deren Schlafzimmer. Ohne sich mit Höflichkeiten aufzuhalten, kam sie sofort zum Kern der Sache.
»Du verliebst dich doch nicht etwa in Herrn Hunt?«
Madeline ließ den Stift fallen, mit dem sie sich Notizen gemacht hatte. »Gütiger Himmel, was kannst du damit nur meinen wollen,Tante Bernice?«
»Liebe Güte, es ist noch verzwickter, als ich es befürchtet hatte.« Besorgt ließ sich Bernice auf die Bettkante fallen. »Ihr beide habt bereits eine Affäre begonnen.«
» Tante Bernice!«
»Natürlich war mir gleich von Anfang an klar, dass ihr beiden euch zueinander hingezogen fühltet.«
Madeline verschlug es fast die Sprache. »Wie in aller Welt bist du denn zu dieser Schlussfolgerung gelangt?«
Bernice hob die
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