Heisskalte Glut
unter
Kontrolle. Er verdrängte seinen Schmerz und fühlte an seiner Stelle eine
stahlharte Entschlossenheit. Seine Mutter und seine Schwester würden sich
ohnehin nur schwer mit der Situation abfinden können; verflucht sollte er sein,
wenn er zuließe, daß sie auch noch ihr Zuhause verloren.
Er legte den Gang ein und fuhr an. Die letzten Überbleibsel seiner
Kindheit und Jugend ließ er auf der holprigen Schotterstraße zurück.
Als erstes fuhr er zu Alex' Büro in Prescott. Er würde sehr
schnell reagieren müssen, um überhaupt noch etwas zu retten. Andrea lächelte
ihn an, als er zur Tür hereinkam, so wie das viele Frauen bei seinem Auftauchen
taten. Ihr rundes, freundliches Gesicht errötete ein klein wenig. Mit
fünfundvierzig war sie alt genug, um seine Mutter zu sein. Aber das Alter
verhinderte nicht ihre instinktive weibliche Reaktion auf seine kräftige und
stattliche Erscheinung.
Gray lächelte abwesend zurück und war in Gedanken ganz bei seinem Vorhaben.
»Ist jemand bei Alex im Zimmer? Ich muß ihn sprechen.«
»Nein, er ist allein. Gehen Sie ruhig rein.«
Gray schritt an ihrem Schreibtisch vorbei in
Alex' Büro und schloß hinter sich die Tür. Alex blickte von dem wohlgeordneten
Aktenberg auf seinem Schreibtisch auf und erhob sich. Sein Blick war sorgenvoll
angespannt. »Hast du ihn gefunden?«
Gray schüttelte den Kopf. »Renee Devlin ist ebenfalls verschwunden.«
»0 mein Gott.« Alex ließ sich auf seinen
Stuhl zurückfallen, schloß die Augen und drückte den Sattel seiner Nase. »Ich
kann es nicht glauben. Ich hätte nicht geglaubt, daß es ihm ernst damit war.
Wie konnte er das denn ernst meinen? Er hat sie doch ...« Er machte eine kurze
Pause und öffnete leicht errötend die Augen.
»... auch so in seinem Bett gehabt«, beendete
Gray forsch den Satz. Mit den Händen in den Hosentaschen ging er auf das
Fenster zu und sah auf die Hauptstraße hinunter. Prescott war eine kleine Stadt
mit nur etwa fünfzehntausend Einwohnern, aber der Verkehr summte lebhaft um den
zentralen Rathaus platz. Schon bald würde jeder dort unten wissen, daß Guy Rouillard
Frau und Kinder verlassen und mit einer Hure durchgebrannt war.
»Weiß es deine Mutter?« fragte Alex gequält.
Gray schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Wenn ich zurück nach Hause
fahre, werde ich es ihr und Monica erzählen.« Der ursprüngliche Schrecken und
der Schmerz waren verflogen. Statt dessen verspürte er jetzt eine ungebrochene
Willenskraft und einen gewissen Abstand, als ob er aus der Entfernung sein eigenes
Handeln beobachten würde. Dieser Abstand floß auch in seinen Tonfall ein, als
er Alex fragte: »Hat mein Vater bei dir eine Vollmacht hinterlegt?«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Alex offensichtlich lediglich an die
persönlichen Konsequenzen von Guys Verschwinden gedacht. Jetzt aber ahnte er
die rechtlichen Konsequenzen, und er riß entsetzt die Augen auf.
»Verflucht«, sagte er in ungewohnt derbem Tonfall. »Nein, das hat
er nicht getan. Wenn er es getan hätte, hätte ich seine Entschlossenheit
erkannt und versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.«
»Vielleicht ist ja in seinem Arbeitszimmer zu
Hause ein Brief. Vielleicht ruft er auch in ein, zwei Tagen an. Wenn das der
Fall sein sollte, dann gibt es in geschäftlicher Hinsicht keinerlei Probleme.
Wenn er aber keinen Brief dagelassen hat und er nicht anruft ... ich kann es
mir nicht leisten, lange zu warten. Ich muß soviel wie nur möglich liquidieren,
bevor sich die Nachricht verbreitet und die Aktienkurse in den Keller fallen.«
Gray zuckte ungerührt mit den Schultern. »Er hat einfach so seine
Familie verlassen. Ich darf nicht annehmen, daß ihm seine geschäftlichen
Verpflichtungen mehr bedeuten.« Er machte eine Pause. »Ich glaube weder, daß er
zurückkommt, noch daß er anrufen wird. Er hat mir soviel er nur konnte so
schnell wie möglich beigebracht. Jetzt begreife ich auch, warum. Denn wenn er
weiterhin die Geschäfte hätte führen wollen, hätte er das wohl nicht getan.
»Es sollte sich aber auf jeden Fall eine Vollmacht finden lassen«,
beharrte Alex. »Guy war ein viel zu ausgefuchster Geschäftsmann, als daß er
daran nicht gedacht hätte.«
»Möglicherweise. Aber ich muß Mutters und Monicas Interessen
berücksichtigen. Ich kann nicht warten. Ich muß augenblicklich liquidieren und
auf diese Weise die größtmögliche Summe herausschlagen, damit ich wenigstens
etwas habe, mit dem ich arbeiten und wieder etwas aufbauen kann. Wenn ich
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