Heisskalte Glut
in den ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens
wirklich Mühe gegeben hatte. Sogar als Mama sich nach dem Fortgang ihres Vaters
vollkommen zurückzog, hatte Monica noch gehofft, wenn sie nur wirklich gut
genug sei, dann würde Mama Guys Verschwinden nicht so zusetzen.
Dennoch hatte sie sich immer schon nach mehr
gesehnt. Mama war so reserviert und kühl, so perfekt und unnahbar. Papa dagegen
war warm und liebevoll gewesen, er hatte sie umarmt und sich mit ihr gebalgt,
obwohl Mama derartiges Verhalten gegenüber einer Tochter für unangemessen
hielt. Gray war sogar noch körperlicher als sein Vater. Schon von Kind an hatte
Monica das in ihm lodernde Feuer erkannt.
Sie erinnerte sich an ein Mal, als Gray in den Ferien zu Hause zu
Besuch gewesen war. Sie hatten alle um den Tisch herum gesessen und geredet.
Gray hatte mit der Grazie einer Großkatze in seinem Stuhl gehangen und über
einen Streich gelacht, den einige Spieler ihrem Trainer gespielt hatten. Er
hatte damals eine Art Ursinnlichkeit verströmt, die sie gar nicht richtig in
Worte fassen konnte, eine Wildheit steckte in der Art, wie er seinen Kopf
neigte, in der Art, wie er sein Glas anhob. Sie hatte Mama angesehen, deren
Gesicht nichts als Ekel widerspiegelte, so als ob Gray ein widerliches Tier
sei. Er war ja auch ein Tier gewesen, ein gesunder, rangelnder Teenager,
der vor männlichen Hormonen nur so strotzte. Aber Monica fand nichts
Ekelhaftes an ihm, und sie hatte die Abneigung ihrer Mutter verurteilt.
Gray war ein wunderbarer Bruder. Sie hätte gar nicht gewußt, was
sie während jener schrecklichen Zeit nach Papas Verschwinden ohne ihn hätte
machen sollen. Sie hatte sich wegen ihres Selbstmordversuchs so geschämt, daß
sie sich selbst schwor, nie wieder so schwach zu sein und Gray nie wieder so
etwas zuzumuten. Es war schwer für sie gewesen, aber sie blieb ihrem Schwur
treu. Sie mußte nur die dünnen, silbrigen Narben an ihren Handgelenken
betrachten, um sie an den Preis jener Schwäche zu erinnern.
Faith Devlin jedoch vor dem Lebensmittelladen wiederzusehen hatte
sie vollständig geschockt. Nach langer, langer Zeit war sie in die alte
Gewohnheit zurückgefallen, mit ihren Schwierigkeiten zu Gray zu rennen und zu
erwarten, daß er sie für sie löste. Sie schämte sich für die Art, wie sie sich
hatte gehenlassen. Aber als sie das dunkle, fast schon weinrote Haar Faith
Devlins sah, hatte ihr Herz beinahe ausgesetzt. Für einen verrückten,
schwindelerregenden Augenblick hatte sie geglaubt, daß Papa zurück sei. Denn
wenn Renee wieder da war, dann war natürlich auch Papa zurückgekehrt.
Aber sie hatte Papa weit und breit nicht
entdecken können. Nur Renee war wieder da und sah ungerechterweise noch jünger
aus als damals. Jemand so Gemeines und Niedriges wie Renee hätte ihre Sünden
für alle sichtbar im Gesicht tragen müssen. Das Gesicht aber, das Monica
angestarrt hatte, hatte denselben wunderbar faltenlosen Teint wie immer. Dieselben
schläfrigen grünen Augen, den breiten, weichen, sinnlichen Mund. Nichts hatte
sich verändert. Für kurze Zeit war Monica wieder in die Rolle des hilflosen
kleinen Mädchens zurückgefallen und zu Gray gelaufen.
Nur daß es nicht Renee gewesen war. Die Frau
auf dem Parkplatz war Faith Devlin gewesen. Gray hatte sich merkwürdig
unwillig gezeigt, sein ganzes Gewicht gegen sie zum Tragen zu bringen. Monica
konnte sich nur verschwommen an Faith erinnern, ein dürres, unscheinbares
kleines Mädchen mit dem Haarschopf ihrer Mutter. Nicht im geringsten
verschwommen jedoch war der Schmerz bei ihrem Wiedersehen, die Flut der
Erinnerungen, das alte Gefühl des Betrugs und der Verlassenheit. Seitdem war
sie vor Besuchen in der Stadt zurückgeschreckt. Sie hatte Angst, Faith Devlin
erneut zu begegnen. Sie hatte Angst davor, daß Faith ihr Salz in die Wunden
streuen würde.
»Monica?« hörte sie Michaels träge Stimme. »Bist du dort drin
eingeschlafen, Liebling?«
»Nein, ich mache mich nur schnell fertig«,
rief Monica und ließ das Wasser laufen, um ihre Schwindelei zu untermauern. Sie
blickte auf ihr Spiegelbild. Nicht schlecht für zweiunddreißig. Glattes,
dunkles Haar, nicht ganz so schwarz wie Grays, aber ohne ein einziges weißes
Haar. Ihr Gesicht war feinknochig wie das ihrer Mutter, aber sie besaß die
dunklen Augen der Rouillards. Sie wog kein Gramm zuviel, und ihre Brüste waren
fest.
Als sie aus dem Bad trat, lag Michael noch
immer splitternackt auf dem Bett. Ein Lächeln breitete sich auf seinem
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