Helden des Olymp: Der Sohn des Neptun (German Edition)
aufwachen und ich werde ihm bald folgen.
Mit entsetzlicher Sicherheit wusste Hazel, was als Nächstes passieren würde. Das Einzige, was Gaia noch brauchte, war ein freiwilliges Opfer – eine Seele, die verschlungen werden musste, damit Alkyoneus aufwachen konnte. Ihre Mutter würde in den Spalt steigen und diesen grauenhaften Felsenturm berühren – und sie würde aufgesogen werden.
»Hazel, geh.« Ihre Mutter erhob sich unsicher. »Sie wird dich laufen lassen, aber du musst dich beeilen.«
Hazel glaubte ihr. Das war das Allerschrecklichste. Gaia würde sich an die Absprache halten und Hazel am Leben lassen. Hazel würde überleben und das Ende der Welt in dem Wissen erleben, dass sie es verursacht hatte.
»Nein.« Hazel fasste ihren Entschluss. »Ich will nicht leben. Dafür nicht.«
Sie griff tief in ihre Seele. Sie rief ihren Vater, den Herrn der Unterwelt, und alle Reichtümer, die in seinem gewaltigen Reich lagen. Die Höhle bebte.
Um den Felsenturm des Alkyoneus blubberte das Öl, dann brodelte es und explodierte wie ein kochender Kessel.
Sei nicht töricht, sagte Gaia, aber Hazel entdeckte Besorgnis in ihrer Stimme, vielleicht sogar Angst. Du wirst dich umsonst selbst zerstören. Deine Mutter wird trotzdem sterben!
Hazel schwankte. Sie dachte an das Versprechen ihres Vaters: Eines Tages würde ihr Fluch weggespült werden und ein Nachkomme Neptuns würde ihr Frieden bringen. Er hatte sogar gesagt, dass sie vielleicht ein eigenes Pferd finden würde. Vielleicht war der fremde Hengst in den Hügeln für sie bestimmt gewesen. Aber nichts davon würde geschehen, wenn sie jetzt starb. Niemals würde sie Sammy wiedersehen oder nach New Orleans zurückkehren. Ihr Leben würde aus dreizehn kurzen, bitteren Jahren mit einem unglücklichen Ende bestehen.
Sie erwiderte den Blick ihrer Mutter. Dieses eine Mal sah ihre Mutter nicht traurig oder wütend aus. Ihre Augen leuchteten vor Stolz.
»Du warst mein Geschenk, Hazel«, sagte sie. »Mein allerkostbarstes Geschenk. Es war töricht zu glauben, dass ich noch etwas anderes brauchte.«
Sie küsste Hazel auf die Stirn und drückte sie an sich. Ihre Wärme gab Hazel den Mut, weiterzumachen. Sie würden sterben, aber nicht als Opfer für Gaia. Instinktiv wusste Hazel, dass ihre letzte Tat Gaias Macht brechen würde. Ihre Seelen würden in die Unterwelt eingehen und Alkyoneus würde sich nicht erheben – jedenfalls noch nicht.
Hazel raffte ihre letzte Willenskraft zusammen. Die Luft wurde brennend heiß. Der Fels fing an sich zu senken. Juwelen und Goldstücke schossen mit solcher Wucht aus der Spalte, dass sie Risse in die Höhlenwände schlugen und Steine umherfliegen ließen, die Hazels Haut durch ihre Jacke verletzten.
Aufhören, verlangte Gaia. Ihr könnt seinen Aufstieg nicht verhindern. Ihr könnt ihn bestenfalls verzögern – um einige Jahrzehnte. Ein halbes Jahrhundert. Wollt ihr dafür euer Leben geben?
Hazel gab ihr keine Antwort.
Die letzte Nacht , hatte der Rabe gesagt.
Die Spalte explodierte. Die Höhlendecke stürzte ein. Hazel sank in den Armen ihrer Mutter in die Finsternis, während Öl ihre Lunge füllte und die Insel in der Bucht versank.
XVIII
Hazel
»Hazel!« Frank schüttelte ihre Arme und schien in Panik zu sein. »Komm schon, bitte! Aufwachen!«
Sie öffnete die Augen. Am Nachthimmel funkelten die Sterne. Das Boot schaukelte nicht mehr. Sie war auf festem Boden und neben ihr lagen ihr Schwert und ihr Rucksack.
Benommen setzte sie sich auf, in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie befanden sich auf einem Felsen, der auf einen Strand blickte. Etwa dreißig Meter weiter funkelte der Ozean im Mondlicht. Die Brandung spülte sanft gegen den Bug des an Land gezogenen Bootes. Auf ihrer rechten Seite klammerte sich ein Gebäude an den Felsen, das aussah wie eine Kapelle mit einem Suchscheinwerfer im Turm. Ein Leuchtturm, vermutete Hazel. Hinter ihnen raschelte hohes Gras im Wind.
»Wo sind wir?«, fragte sie.
Frank atmete auf. »Den Göttern sei Dank, du bist wach. Wir sind in Mendocino, an die zweihundertfünfzig Kilometer nördlich des Golden Gate.«
»Zweihundertfünfzig Kilometer?«, stöhnte Hazel »So lange war ich weg?«
Percy kniete neben ihr nieder, der Wind fuhr durch seine Haare. Er legte ihr die Hand auf die Stirn, wie um zu fühlen, ob sie Fieber hatte. »Wir konnten dich nicht aufwecken. Schließlich haben wir beschlossen, dich an Land zu bringen. Wir dachten, dass die Seekrankheit dann vielleicht …«
»Das war
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