Helden-Maus
ausgezeichnete Exemplare mussten sie hängen lassen, weil keine anderen dazu passten. Die Aufgabe war also gar nicht so leicht, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte; tatsächlich wäre es manchmal leichter gewesen, die passenden Schuhe selbst herzustellen, anstatt sie zu suchen.
Die Arbeit machte Spaß, nicht etwa, weil Esk besonders arbeitsfreudig gewesen wäre, sondern weil die Mädchen im gleichen Alter waren wie er und ständig mit ihm flirteten, indem sie Bemerkungen über Damenpantoffeln ohne Partner machten. Esk kam der Gedanke, dass er im Torschloss auf mehr treffen könnte als nur auf Hilfe bei seiner Mission. Immerhin war seine Großmutter ja ein Fluchungeheuer gewesen.
Dann wurde es Zeit für sie, ins Schloss zurückzukehren. Mit ihren Körben voller Schuhe gingen sie los, und Esk begleitete sie. Als er ihnen begegnet war, hatte er sich müde gefühlt, doch das hatte sich inzwischen geändert. Tatsächlich fühlte er sich nun sehr zuversichtlich.
Sie gelangten an einen Steg, der ein Stück in den See hineinführte. Dort warteten sie, und schon bald tauchte etwas aus dem tiefen Wasser auf. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Boot und schien aus Holz zu bestehen, segelte aber eher unter dem Wasser als darauf. Esk kam es ziemlich merkwürdig vor, doch die Mädchen scharten sich am Rand des Stegs ohne Zögern zusammen, um das Gefährt zu besteigen.
Eine Luke öffnete sich und führte ins Bootsinnere. Die Mädchen kletterten nacheinander hinein und reichten ihre Schuhkörbe weiter. Dann riefen sie nach Esk, und auch er kletterte hinüber. Er stieg eine Leiter hinab, bis er ein gutes Stück unter der Wasseroberfläche war und seine Füße festen Boden berührten. Schließlich kletterte eines der Mädchen wieder hinauf. Er blickte nach oben, um zu sehen, was sie tat, und musste schnell wieder die Augen abwenden, um sich die Peinlichkeit des Errötens zu ersparen. Denn er hatte ihr unter den Rock geschaut.
»Mach es ordentlich fest, Doris!« rief ein Mädchen.
Fest?
Plötzlich verschwand das Licht, und er verstand, was sie tat: Sie schloss die Luke. In der plötzlichen Dunkelheit umarmte ihn jemand, und von anderer Seite bekam er einen kichernden Kuss auf die Wange. Dann ging eine Laterne an, und alle Mädchen standen völlig ruhig um ihn herum, ohne dass auch nur eine davon so ausgesehen hätte, als hätte sie etwas Unziemliches getan.
Die Laterne wurde von einer strengen Frau getragen, die aus einem anderen Raum im Boot herbeikam. »Alles an Bord?« fragte sie forsch.
»Ja – plus eins!«
Wieder ein Kichern.
Die Frau führte die Lampe herum und erblickte Esk. »Ein Mann!« rief sie tadelnd.
»Wir haben ihn bei den Schuhbäumen gefunden«, erklärte Doris. »Dürfen wir ihn behalten, Matriarchin?«
»Ganz bestimmt nicht. Der kehrt dahin zurück, wo er sein…«
»Nein«, murmelte Esk.
Die Frau wirkte verwirrt. »Nun gut, sollen die Behörden darüber entscheiden. Bringt ihn erst einmal ins Verlies.«
Also führte man Esk zum Verlies, das einfach nur aus dem Laderaum des Boots bestand. Dort nahm er zwischen den Schuhkörben Platz, während die Mädchen ihm heimlich zuzwinkerten.
Das Boot setzte sich in Bewegung. Erst versank es ein Stück, bis es unter Wasser war, was auf Esk sehr gespenstisch wirkte, dann glitt es nach vorn, von irgendeinem unbekannten Mechanismus angetrieben. Er wusste nicht, ob es in einem anderen Teil des Schiffs Männer gab, die es mit Stangen anschoben, so wie er und Chex es mit ihrem Floß getan hatten, oder ob es sich um Magie handelte.
Nach einer Weile bremste das Boot mit einem Stoß. Ein Mädchen kletterte zur Luke empor und öffnete sie, worauf es im Inneren wieder hell wurde.
Nun nahmen die Mädchen ihre Körbe auf und trugen sie aus dem Gefährt. »Wiedersehen, Esk«, murmelten sie alle einzeln ganz leise, damit die Matrone sie nicht hören konnte.
Als sie verschwunden waren, kam die Matrone auf ihn zu. »Kommen Sie, Eindringling«, bellte sie. »Sie müssen vor den Magistrat.«
Er tat wie ihm geheißen, kletterte ihr nach. Nun fand er sich in einem Raum wieder, dessen Boden aus Wasser bestand. Das Boot lag darin an einer weiteren Pier. Diesmal konnte Esk auch in die Tiefe blicken, weil das Wasser beleuchtet und klar war. Auch der Antriebsmechanismus war zu erkennen: Am Boot waren eine Winde und ein Seil befestigt! Man hatte es einfach in die Unterwasserstadt geschleppt, so wie man es wahrscheinlich zuvor ans Seeufer gezogen hatte. Offensichtlich gab es hier
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