Helden-Maus
nicht zu schmal zu sein.«
»Das mag vielleicht stimmen. Aber ich bin es, die auf das Plateau gelangen und mit den Flügelungeheuern sprechen muss; dir würden sie gar nicht erst zuhören, weil du keine Flügel besitzt.«
»Ich glaube trotzdem, dass ich dir vielleicht helfen kann. Könntest du dort emporklettern, wenn du eine Leine hättest, an der du dich festhalten könntest?«
»Ja, das könnte ich wohl. Aber ich habe keine Leine dabei, ich bin eine Pfeil-und-Bogen-Zentaurin. Meine Arme sind nicht kräftig genug, um mein ganzes Körpergewicht mit Hilfe einer Leine zu tragen. Mein Großvater Chester besitzt sehr kräftige Arme, der könnte das wohl, aber ich nicht.« Enttäuscht biss sie die Zähne zusammen. »Ach, wie ich mir doch wünschte, fliegen zu können!«
»Aber du könntest dich doch immerhin festhalten, solange deine Füße Halt haben.«
»Ja. Aber selbst wenn ich eine Leine hätte, könnte ich sie nicht befestigen, denn ich kann ja nicht einmal das andere Ende des Pfads erkennen.«
»Ich werde nachsehen.« Mark stieg ab und ging den Pfad entlang. Als der Felsvorsprung immer schmaler wurde, kam er nur noch seitwärts gehend voran, wobei er sehr vorsichtig operieren musste, doch hatte er offenbar weder Höhenangst, noch fürchtete er sich vor dem Absturz; ein weiterer Vorteil, wenn man unlebendig war. Er verschwand hinter der Biegung.
Nach einer Weile kehrte er zurück. »Da ist ein Fels, an dem ich mich festklammern könnte«, verkündete er.
»Wie schön für dich«, erwiderte Chex und versuchte, es nicht in einem zu unfreundlichen Tonfall zu sagen.
»Wenn du mich also einfach in Stücke zertrittst und mich um die Biegung schleuderst, so dass ich mich mit einer Hand festhalten kann, wird das schon klappen.«
Chex erschrak zutiefst. Wollte Mark damit etwa auf seine Art einen Selbstmord vorschlagen? »Was?«
»Lass mich dich einfach hier packen, damit ich nicht von der Felskante stürze«, erklärte er. »So, und jetzt verpaß mir einen ordentlichen Tritt.«
»Aber das würde dich doch vernichten!« rief sie entsetzt.
»O nein, wir Skelette können uns leicht wieder zusammensetzen, wenn wir darauf vorbereitet sind. Tritt mich in Stücke, dann erkläre ich dir den nächsten Schritt.«
Es fiel Chex außerordentlich schwer, doch schließlich tat sie wie ihr geheißen. Sie ging einen Schritt zurück und trat mit den Hinterläufen gegen Marks Hüftknochen.
Das Skelett platzte auseinander. Die Knochen segelten durch die Luft. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges.
Denn die Knochen lösten sich nicht völlig voneinander, statt dessen bildeten sie eine Leine, die am Berghang herunterbaumelte.
»Und jetzt zieh mich hoch«, sagte Marks Stimme.
Sie kehrte zum Wendeplatz zurück, drehte sich und kam wieder auf ihn zu. Dann nahm sie ihren Mut zusammen und spähte über die Felskante in die Tiefe. Die Knochenleine reichte ein gutes Stück den Felshang hinunter. Ungefähr auf halber Strecke befand sich der Schädel. »Hol mich ein«, wiederholte er.
Eine wahrhaft seltsame Magie! Sie nahm einen Knochen und zog daran. Marks Fingerknochen waren nicht mehr mit seinem Handknochen verbunden, sein Handknochen auch nicht mit dem Handgelenk, statt dessen war ein Finger mit dem anderen verbunden. Sie holte die Leine Handbreit um Handbreit ein, wobei sie feststellte, dass die Finger- und Armknochen mit den Rippen- und Genickknochen und schließlich mit dem Schädelknochen verbunden waren.
»Und jetzt musst du den Rest seitlich um den Berg schleudern«, wies der Schädel sie an. »Auf gleicher Höhe mit dem Pfad. Der Fels, an dem ich mich festhalten will, befindet sich nur ein kleines Stück außerhalb deiner Sichtweite.«
Chex gehorchte. Sie ließ die Knochenleine wie ein Pendel hin und her schwingen, bis das Ende hoch genug sauste. Und dann, als es gerade auf richtiger Höhe war, ließ sie los, und die Leine klatschte gegen den Berghang.
»Ich habe ihn!« rief der Schädel. »Und jetzt musst du mich straffen.«
Chex musterte den Knochenbogen. »Aber wenn ich zu fest reiße, reißt dich das denn nicht auseinander?«
»Ich glaube nicht. Ich werde schon Warnung geben, wenn meine Belastungsgrenze erreicht ist.«
Also holte sie die Leine wieder ein, bis sie straff war und sie einen Armknochen zu packen bekam, als der Schädel »Genug!« rief.
»Und jetzt?« rief sie ihm zu.
»Jetzt berühre den Handknochen mit dem Armknochen.«
Sie machte eine Schlaufe mit der Knochenleine, brachte den Armknochen an den
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