Helden-Maus
festhalten könnte«, meinte das Skelett. »Und selbst wenn es welche gäbe, könnte ich wahrscheinlich nicht dein volles Gewicht halten. Die Kohäsion hat auch ihre Grenzen.«
»Ganz gewiss«, pflichtete sie ihm bei. »Du hast schon mehr als genug geleistet. Ich würde dich nicht einmal darum bitten, es zu versuchen, selbst wenn meine Arme kräftig genug für eine solche Überquerung wären. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben.«
Doch gab es die wirklich? Aus dem toten Holz konnte man keine Brücke bauen, und auch die Steine waren gänzlich ungeeignet. Es sei denn…
Sie machte sich ans Werk, vermied jeden Gedanken daran, wie riskant es war. Sie sammelte Holz ein, rollte Steine herbei, errichtete am Rand der Kluft einen Haufen. Sie packte alles so fest aufeinander wie möglich, um eine Sprungschanze zu bilden, die sich ein beachtliches Stück in die Höhe hob.
Mit schräg gelegten Augenhöhlen betrachtete Mark ihr Tun. »Ist das nicht eine Vergeudung der Kräfte, die du eigentlich brauchst, um die Kluft zu überqueren?« fragte er.
»Ich baue eine Sprungrampe«, erklärte sie. »Ich hoffe, dass ich damit meine Sprungweite steigern kann.«
Er überlegte. »Wenn ich von deiner bisherigen Beinkraft und deinem Körpergewicht ausgehe, vermute ich, dass dein Sprung um ein gutes Stück zu kurz ausfallen wird«, sagte er.
Chex dachte daran, wie präzise er ihr Vorankommen im Wasser ausgerechnet hatte. Das war eine Enttäuschung für sie. Sie hatte gehofft, dass die Sprungschanze das fehlende Stück wettmachen würde. Inzwischen hatte sie alles verfügbare Material aufgebraucht, höher ließ sich die Rampe nicht bauen.
Doch da blieb noch eine weitere Chance. »Ich kann zwar nicht fliegen, aber meine Flügel verleihen mir durchaus etwas Auftrieb«, sagte sie. »Meinst du, dass der meine Sprungweite hinreichend vergrößern wird?«
»Ich verstehe nichts von Flugparametern«, erwiderte er.
»Es muss einfach reichen«, entschied sie. »Lass mich dich erst auf die andere Seite werfen, dann komme ich gleich nach.«
»Wie du wünschst.«
Sie packte ihn an Genick- und Hüftknochen, nahm Schwung und schleuderte ihn über den Abgrund. Er prallte drüben auf und sackte zusammen, hatte sich aber schon einen Augenblick später wieder aufgerichtet; er konnte sich ja keine Schürfwunden zuziehen. Kurz darauf warf sie auch ihren Bogen und den Köcher mit den Pfeilen hinüber, ebenso ihr Vorratsbündel; sie wollte den Sprung ohne jeden überflüssigen Ballast durchführen.
Dann war es soweit. Sie trottete auf die andere Seite der Rampe, um Anlauf zu nehmen. Gleichmäßig beschleunigte sie ihr Tempo.
Dann hatte sie die Rampe erreicht, galoppierte mit voller Kraft hinauf und sprang…
Sobald sie über den Abgrund setzte, breitete sie die Schwingen aus und schlug sie kraftvoll. Sie spürte ihren Auftrieb, wusste aber, dass er nicht genügte; ihr Versuch des Fliegens war nichts anderes als ein So-tun-als-ob.
Dann berührten ihre Vorderhufe den Felsen, und sie wusste, dass sie es geschafft hatte. Sie zog die Hinterhufe an, um sie an die Stelle der Vorderhufe zu setzen und ihre Landung abzusichern, dann vollführte sie noch einen zweiten, kleineren Sprung, um sich zu orientieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatten ihre Flügel einen wichtigen Dienst geleistet! Wie froh sie doch war, dass sie ihre Brustmuskeln ausgebildet hatte! Nun blieb sie stehen und drehte sich keuchend zu Mark um. »Ich hoffe, das war die letzte Gefahr auf diesem Pfad!«
»Interessant«, bemerkte er. »Deine Flügel haben deine Sprungweite tatsächlich signifikant erhöht.«
»Höchst interessant«, pflichtete sie ihm schiefmäulig bei. Anscheinend hatten Skelette es nicht so mit Gefühlen, wenn man davon absah, dass sie in Alpträumen Schrecken auslösten.
Sie aß etwas Obst aus ihren Vorräten, dann nahm sie Rucksack, Bogen und Köcher wieder auf. »Es kann nicht mehr weit sein«, meinte sie.
»Ist es auch nicht«, bestätigte Mark. »Sie befinden sich unmittelbar hinter dem nächsten Gipfel.«
»Woher weißt du das?«
»Ich spüre den Boden beben, wenn sie landen.«
Skelette hatten offenbar ein sehr feines Gespür für Bodenerschütterungen! »Also gut! An die Arbeit.«
Sie erreichten den Gipfel, und vor ihnen erstreckte sich das Hochplateau, auf dem sich zahlreiche Flügelungeheuer tummelten.
Es waren Ungeheuer aller Arten: Greife, Drachen, Rokhs, Sphinxe und eine Reihe seltener Spezies, beispielsweise der Hippogryph.
Xap trat vor. Er
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