Heldenklingen
erreichten heute Morgen die Ortschaft Osrung und nahmen eine Schlüsselstellung auf einem Hügel ein, der von einem Steinkreis gekrönt ist, den man Die Helden nennt. Bedauerlicherweise wurde die Verstärkung durch die schlechten Straßen aufgehalten, und bevor sich die übrigen Truppen über den Fluss begeben hatten, griffen die Nordmänner in großer Zahl an. Das Sechste und das Rostod-Regiment fochten zwar mit größter Entschlossenheit, wurden aber dennoch vom Feind überwältigt. Die Standarte der Sechsten ging verloren. Wir beklagen etwa tausend Gefallene und noch einmal genauso viele Verletzte; zudem wurden viele unserer Leute vom Feind gefangen genommen.
Nur durch das mutige Eingreifen der Ersten Kavallerie Eurer Majestät konnte Schlimmeres verhindert werden. Die Nordmänner haben ihre Stellung rund um die Helden nun gut befestigt. Die Lichter ihrer Lagerfeuer sind am Hang zu sehen, und fast sind ihre Gesänge zu hören. Aber wir halten noch immer das südliche Flussufer, und die Divisionen von General Mitterick auf der westlichen Flanke und von Lord Statthalter Meed an der östlichen treffen auch allmählich ein und sind bereit, bei Tagesanbruch loszuschlagen.
Morgen werden die Nordmänner nicht mehr singen.
Ich verbleibe der treueste und unwürdigste Diener Eurer Majestät,
Bremer dan Gorst, königlicher Berichterstatter aus dem Nordkrieg
Laute Rufe, metallisches Klappern und leises Wimmern drang durch die heraufziehende Dunkelheit, und in der Luft hing der scharfe Geruch von brennendem Holz, mehr aber noch der bittere Gestank der Niederlage. Feuer knisterten im Wind, Fackeln flackerten in bleichen Händen und beleuchteten Gesichter, auf denen dieser Tag mit seinen Märschen, dem Warten und der Angst seine Spuren hinterlassen hatte. Oder auch die Kämpfe.
Über die Straße, die nach Uffrith führte, schleppte sich eine endlose Prozession überladener Planwagen, berittener Offiziere und marschierender Soldaten. Mittericks Division rückte heran und sah die Verwundeten und Besiegten, und so infizierte sie sich mit der Angst, noch bevor sie den Feind überhaupt zu Gesicht bekommen hatte. Nach der Niederlage bei den Helden bekamen zuvor ganz banal betrachtete Dinge plötzlich eine andere, dramatische Bedeutung. Ein totes Maultier, in dessen hervorquellenden Augen sich das Licht der Fackeln spiegelte. Ein Wagen mit gebrochener Achse, der von der Straße abgekommen war und nun zu Brennholz zerhackt wurde. Ein verlassenes Zelt, das sich von seinen Pflöcken gelöst hatte und auf dessen zertrampelter Leinwand die aufgestickte, gelbe Sonne der Union zu sehen war. Alles wird zu Symbolen des nahenden Unheils.
In den letzten Monaten, in denen Gorst seine morgendlichen Runden durch die Lager der verschiedenen Regimenter gedreht hatte, war nur selten Angst zu spüren gewesen. Langeweile, Erschöpfung, Hunger, Krankheit, Hoffungslosigkeit und Heimweh – das alles schon. Aber keine Angst vor dem Feind. Doch nun war sie überall, und ihr Gestank wurde immer stärker, während allmählich Wolken aufzogen und die Sonne sich hinter den Hügeln verkroch.
Während Männer vom Sieg mutig werden, macht die Niederlage sie zu Feiglingen.
In Adwein gab es inzwischen kein Durchkommen mehr, da mehrere riesige Wagen, von jeweils acht Pferden gezogen, die Straßen verstopften. Ein Offizier schrie mit rot angelaufenem Gesicht einen alten Mann an, der auf dem Kutschbock des ersten saß.
»Ich bin Saurizin, Adeptus der Chemie der Universität von Adua!«, brüllte der Alte zurück und schwenkte ein Papier, das von den ersten Regentropfen bereits leicht verschmiert war. »Diesem Wagen muss freie Fahrt gewährt werden, so lautet der Befehl von Lord Bayaz!«
Gorst ließ sie streiten und schlenderte an einem Quartiermeister vorüber, der auf der Suche nach Unterkünften an eine Tür nach der nächsten trommelte. Eine Nordländerin stand auf der Straße im allmählich stärker werdenden Regen, und drei Kinder schmiegten sich an ihre Beine, während sie auf eine Handvoll Münzen starrte. Wahrscheinlich hat man sie aus ihrer Hütte rausgeworfen, um dort irgendeinen hochnäsigen Leutnant unterzubringen, der wiederum von einem geschniegelten Hauptmann verdrängt werden wird, der später für einen aufgeblasenen Major Platz machen muss. Wo werden diese Frau und ihre Kinder dann sein? Werden sie friedlich in meinem Zelt schlafen, während ich heldenhaft draußen in der Nässe penne? Ich müsste nur die Hand ausstrecken … Stattdessen
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