Heldenklingen
Da!«
»Verdammt noch eins!«
»Alle Männer auf die Wehrgänge!«
»Gibt es hier Wehrgänge?«
Die Männer, die draußen unterwegs gewesen waren – Kutscher, Diener, Schmiede, Köche – rannten blindlings aus Zelten und Wagen zum Gasthof. Schon waren Reiter bei ihnen, die auf struppigen Pferdchen angeritten kamen, zwar ohne Steigbügel, aber dessen ungeachtet verdammt schnell. Finree hatte schon erwartet, dass sie mit Bögen bewaffnet sein würden, und wenig später schlugen denn auch die ersten Pfeile klappernd gegen die Nordseite des Gasthofs. Einer flog durchs Fenster und rutschte über den Boden. Ein schwarzes, zernarbtes, schlecht gefertigtes Ding, aber deswegen nicht weniger gefährlich. Jemand zog mit leisem, metallischem Klingen seinen Säbel, und schon bald schimmerten überall im Saal die Klingen.
»Wir brauchen Bogenschützen auf dem Dach!«
»Haben wir Bogenschützen?«
»Schließen Sie die Fensterläden!«
»Wo ist Oberst Brint?«
Ein Klapptisch schrammte mit protestierendem Kreischen über den Boden, als er vor eines der Fenster gezogen wurde. Die Papiere, die sich darauf befunden hatten, rutschten über den Boden.
Finree erhaschte einen Blick nach draußen, während sich zwei Offiziere damit abmühten, die vergammelten Fensterläden zuzudrücken. Über die Felder rückte eine Front von Männern auf sie zu. Sie hatten schon mehr als die Hälfte der Strecke bis zum Gasthof zurückgelegt und rückten schnell näher; die Linie fächerte sich auf, als sie zum Angriff ansetzten. Ausgefranste Standarten wehten hinter ihnen, mit Knochen verziert. Finree schätzte ihre Zahl grob auf mindestens zweitausend, und hier im Gasthof waren höchstens hundert Soldaten, die meisten nur leicht bewaffnet. Sie schluckte angesichts des Entsetzens, das sich bei dieser Rechnung in ihr breit machte.
»Sind die Tore verschlossen?«
»Verrammelt sie!«
»Rufen Sie das Fünfzehnte Regiment zurück!«
»Es ist zu spät, um jem…«
»Bei den Schicksalsgöttinnen.« Aliz riss die Augen so weit auf, dass das Weiße rund um die Pupille sichtbar wurde, und sah sich hektisch um, als suchte sie eine Fluchtmöglichkeit. Es gab keine. »Wir sitzen in der Falle!«
»Es wird Hilfe kommen«, sagte Finree und versuchte dabei so ruhig zu klingen, wie es ihr bei ihrem wild schlagenden Herzen irgendwie möglich war.
»Von wem denn?«
»Vom Hundsmann.« Der sich stets bemühte, möglichst viel Abstand zu Meed zu halten. »Oder von General Jalenhorm.« Dessen Truppe nach der Katastrophe vom Vortag in einem derart desolaten Zustand war, dass sie nicht einmal sich selbst helfen konnte, von anderen ganz zu schweigen. »Oder von unseren Ehemännern.« Die beide voll und ganz mit dem Angriff auf Osrung beschäftigt waren und vermutlich nicht die geringste Ahnung hatten, welche neue Bedrohung sich in ihrem Rücken aufgetan hatte. »Es wird Hilfe kommen.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang das lächerlich und alles andere überzeugend.
Offiziere rannten hierhin und dorthin, deuteten in alle möglichen Richtungen und brüllten sich widersprüchliche Befehle entgegen. In dem großen Raum wurde es nun zunehmend dunkler, da die Fenster mit allem möglichen überladen verziertem Gerümpel verbarrikadiert wurden, das gerade zur Hand war. Die Verwirrung wuchs. Meed stand inmitten des Durcheinanders, plötzlich allein und unbeachtet, und sah sich unsicher um. In der einen Hand hielt er den Säbel, die andere öffnete und schloss sich ohnmächtig. Wie ein nervöser Vater bei einer großen Hochzeit, so perfekt geplant, dass er selbst am großen Tag gar nicht mehr gefragt ist. Das große Porträt an der Wand blickte verächtlich auf ihn herab.
»Was sollen wir tun?«, fragte er in die Menge hinein. Dann fanden seine verzweifelt herumwandernden Augen Finree. »Was sollen wir denn nur tun?«
Erst als sie schon den Mund öffnete, merkte sie, dass sie keine Antwort wusste.
DIENSTWEG UND BEFEHLE
N achdem das Wetter sich für kurze Zeit freundlich gezeigt hatte, waren erneut dicke Wolken aufgezogen. Der Regen sorgte sanft für eine neuerliche Portion klammer Feuchtigkeit und nahm Marschall Kroy und seinem Stab völlig die Sicht auf die beiden Flanken des Schlachtfelds.
»Verdammter Nieselregen!«, fluchte Kroy. »Genauso gut könnte ich mir einen Eimer über den Kopf stülpen!«
Viele Menschen gingen davon aus, dass ein Lord Marschall auf dem Schlachtfeld oberste Befehlsgewalt besaß, die sogar die eines Kaisers in seinem Thronsaal übertraf.
Weitere Kostenlose Bücher