Heldenklingen
wusste, worum es ging. »Ich dachte, Sie seien bei den Rittern der Wacht? Zählten Sie während der Schlacht von Adua nicht zur Leibwache des Königs?«
Gorst spürte, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg. Das war ich, wie jeder der hier Anwesenden nur allzu gut weiß, aber jetzt bin ich nichts anderes mehr als ein elender Sündenbock, benutzt und weggeworfen wie ein stammelndes Dienstmädchen, das der Sohn der Herrschaft bestiegen hat. Jetzt bin ich …
»Oberst dan Gorst ist als königlicher Berichterstatter hier«, warf Kroy hastig ein, der sah, wie peinlich die Lage für Gorst war.
»Natürlich!« Bayaz schnippte mit den Fingern. »Nach dieser Sache in Sipani.«
Gorsts Gesicht brannte, als sei allein die Nennung des Städtenamens eine Ohrfeige. Sipani . Genau dorthin kehrten seine Gedanken immer wieder zurück, zu diesem Augenblick vor vier Jahren, zu all den Wirren in Cardottis Haus der Sinnenfreuden. Wie er durch den Rauch gestolpert war und verzweifelt nach dem König gesucht hatte, wie er die Treppe erreichte und dieses maskierte Gesicht sah – und dann folgte der lange und schmerzhafte Sturz ebendiese Treppe hinunter, an deren Ende seine ungerechtfertigte Entlassung wartete. Er sah überall gehässiges Grinsen auf dem überbelichteten, verwischten Gesichtermeer, in das sich der Raum plötzlich verwandelt hatte. Schließlich öffnete er den trockenen Mund, aber wie immer drang nichts Sinnvolles heraus.
»Nun gut.« Der Magus tätschelte Gorsts Schulter ähnlich mitleidsvoll, wie man sich zu einem Blindenhund hinunterbeugt, der vor langer Zeit selbst sein Augenlicht verloren hat und dem man gelegentlich einen Knochen zuwirft. »Vielleicht können Sie eines Tages die Gunst des Königs zurückerlangen.«
Darauf kannst du dich verlassen, du wichsköpfiger Geheimniskrämer, und wenn ich dafür jeden Tropfen Blut im Norden vergießen muss. »Vielleicht«, brachte Gorst flüsternd heraus.
Aber Bayaz hatte sich bereits einen Stuhl herangezogen und legte auf dem Tisch vor sich die Finger spitz wie ein Dach aneinander. »So! Wie ist denn die Lage, Herr Marschall?«
Kroy zog ruckartig die Vorderseite seiner Uniformjacke glatt und trat vor die riesige Karte, die man an den Ecken sogar noch hatte einklappen müssen, damit sie an die größte Wand des kleinen Hauses passte. »General Jalenhorms Division steht hier, westlich von uns.« Das Papier knisterte, als Kroys Stab darüber hinwegzischte. »Er drängt weiter nach Norden, setzt Ernten und Dörfer in Brand und hofft, die Nordmänner zur Schlacht zu zwingen.«
Bayaz wirkte gelangweilt. »Hmmmm.«
»Währenddessen ist die Division von Lord Statthalter Meed zusammen mit dem Großteil der treuen Anhänger des Hundsmanns nach Südosten marschiert, um Ollensand zu belagern. General Mittericks Division hält sich zwischen beiden.« Tapp, tapp , klopfte der Stab gnadenlos präzise aufs Papier. »Er hält sich bereit, sie nach Bedarf zu unterstützen. Der Nachschub verläuft südlich über Uffrith; die Straßen dort sind sehr schlecht, kaum mehr als Saumpfade, aber wir ha…«
»Natürlich.« Bayaz tat all das mit einer Bewegung seiner fleischigen Hand als unwesentlich ab. »Ich bin nicht gekommen, um mich in Einzelheiten einzumischen.«
Kroys Stab schwebte nutzlos in der Luft. »Dann …«
»Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Maurermeister, Herr Marschall , der an einem Türmchen eines großen Palasts arbeitet. Ein erfahrener Handwerksmeister, dessen Fähigkeiten, Arbeitseifer und Detailkenntnis von niemandem bestritten wird.«
»Ein Maurer?« Mitterick sah verblüfft aus.
»Und dann sehen Sie den Geschlossenen Rat als die Architekten. Unsere Aufgabe ist es nicht, einen Stein auf den anderen zu setzen, sondern den Entwurf des gesamten Gebäudes zu überwachen. Die politischen Hintergründe, nicht die Taktik. Das Heer ist ein Instrument der Regierung. Denn welchen Zweck hätte es sonst? Sonst wäre es lediglich eine extrem kostspielige Maschinerie … zum Prägen von Medaillen.« Die Anwesenden rührten sich unbehaglich. Das sind Worte, wie sie diesen närrischen Gecken kaum gefallen werden.
»Die Regierungspolitik ist oft urplötzlichen Veränderungen unterworfen«, grollte Felnigg.
Bayaz sah ihn an wie ein Schulmeister, dem der größte Dummkopf der Klasse den Schnitt verdirbt. »Die Welt ist im Wandel. Daher müssen auch wir zum Wandel bereit sein. Und seit dem Beginn dieser jüngsten Feindseligkeiten haben sich die Umstände nicht gerade zu unseren
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