Heldenklingen
geht«, rief Dow noch über die Schulter hinweg. »Vielleicht kommt ja doch noch Hilfe.«
»Ich sag’s ihm.« Der Junge machte sich schnell wieder davon und war bald schon in der Menge verschwunden.
Über den Helden lag nun eine eigentümliche Friedhofsruhe. Nichts war zu hören außer gelegentlich gemurmelten Worten, dem leisen Klappern von Waffen und Rüstungen und dem sanften Plätschern des Regens, der auf Metall schlug. Unten bei den Kindern blies jemand in ein Horn. Es klang seltsam traurig, wie diese kleine Melodie im Regen zu ihnen heraufhallte. Vielleicht war es aber auch nur eine ganz normale Melodie, und das mit der Traurigkeit war nur in Kropfs Kopf. Weil er sich fragte, wer von all diesen Männern einen anderen töten würde, bevor die Sonne unterging, und wer tot sein würde. Weil er sich fragte, wem von ihnen der große Gleichmacher schon die kalte Hand auf die Schulter gelegt hatte. Vielleicht ja sogar ihm selbst. Er schloss die Augen und schwor sich, dass er sich endlich zurückziehen würde, falls er das hier überlebte. Wie er es sich schon unzählige Male zuvor geschworen hatte.
»Sieht so aus, als wäre es so weit.« Herrlich streckte die Hand aus.
»Joh.« Kropf nahm sie und schüttelte sie, und er sah Herrlich ins Gesicht, mit ihrem entschieden vorgestreckten Kinn, dem stoppligen Haar, das durch die Nässe schwarz schimmerte, und der weißen Linie der langen Narbe seitlich an ihrem Kopf. »Sieh zu, dass du nicht draufgehst, ja?«
»Ich hatte nicht die Absicht. Halt dich nahe bei mir, und ich werde mir Mühe geben, dass auch du nicht abnippelst.«
»Abgemacht.« Damit fassten sie sich alle an die Hände, klopften sich gegenseitig auf die Schultern, und wie es in diesen letzten Augenblicken, bevor das Blut fließt, oft der Fall ist, fühlten sie sich ihren Kameraden auf eigentümliche Weise enger verbunden als der eigenen Familie. Kropf gab Flut die Hand, auch Scorry und Drofd und sogar Espe, und dann merkte er, dass er unwillkürlich zwischen all den Fremden nach Bracks großer, dicker Pranke suchte, bis ihm wieder einfiel, dass der hinter ihnen unter der Erde lag.
»Kropf.« Yon Fröhlich, dessen betretenem Gesicht anzusehen war, was er wollte.
»Joh, Yon. Ich werde es ihnen sagen. Weißt du doch.«
»Weiß ich.« Damit schlugen sie ein, und Yon hatte ein Zucken um die Mundwinkel, das bei ihm vielleicht sogar als Lächeln zu werten war. Währenddessen stand Beck einfach nur da, das dunkle Haar gegen die blasse Stirn geklatscht, und sah zu den Kindern hinüber, als blickte er ins Nichts.
Kropf nahm die Hand des Jungen und drückte sie. »Tu einfach das Rechte. Halte zu deiner Truppe und zu deinem Häuptling.« Er beugte sich etwas näher. »Lass dich nicht umbringen.«
Beck erwiderte den Händedruck. »Nee. Danke, Häuptling.«
»Wo ist Whirrun?«
»Fürchtet euch nicht!« Damit drängte sich der Genannte durch die nasse und unglückliche Menge. »Whirrun von Blei ist unter euch!«
Aus Gründen, die nur ihm selbst bekannt waren, hatte er sein Hemd ausgezogen und stand mit nacktem Oberkörper da, den Vater der Schwerter über einer Schulter. »Bei den Toten«, raunte Kropf. »Jedes Mal, wenn wir kämpfen, hast du weniger an.«
Whirrun legte den Kopf in den Nacken und blinzelte in den Regen. »Bei so einem Wetter trage ich kein Hemd. Ein nasses Hemd reibt einem nur die Nippel wund.«
Herrlich schüttelte den Kopf. »Das gehört wohl alles zur Darstellung des geheimnisumwitterten Helden.«
»Das auch.« Whirrun grinste. »Wie sieht’s aus, Herrlich? Reibt dir nasser Stoff auch die Nippel wund? Das wüsste ich doch gern.«
Sie schüttelte ihm die Hand. »Kümmere du dich mal um deine Nippel, Knacknuss, und ich mich um meine, in Ordnung?«
Jetzt war alles hell und still und ruhig. Wasser schimmerte auf Rüstungen, Pelze sträubten sich in der Nässe, Tautropfen sammelten sich auf grell bemalten Schilden. Gesichter glitten an Kropf vorüber, bekannte und unbekannte. Grinsend, streng, verrückt, verängstigt. Er streckte die Hand aus, Whirrun drückte sie und grinste über das ganze Gesicht. »Bist du bereit?«
Kropf hatte immer Zweifel gehabt. Seit zwanzig Jahren hatte er Zweifel sozusagen gegessen, geatmet, gelebt. Hatte kaum einen Augenblick erlebt, an dem er frei von ihnen gewesen war. Tag für Tag, seit er seine Brüder begraben hatte.
Aber jetzt war keine Zeit für Zweifel. »Ich bin bereit.« Und er zog sein Schwert und sah hinunter zu den Truppen der Union, den vielen
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