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Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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»Dort drüben! Bei der Brücke. Er wird an vorderster Front gewesen sein.« So edel! So heldenhaft! Führe mich zur Brücke, Geliebte!
    Sie kamen an einer Reihe brennender Bäume vorüber, deren verglühende Blätter wie Konfetti auf sie herabfielen. Singt! Singt ein Lied für das glückliche Paar! Um sie herum erschollen immer wieder Rufe, die Stimmen klangen erstickt in der Düsternis. Leute, die um Hilfe riefen, Leute, die helfen wollten, und Leute, die Opfer zum Ausrauben suchten. Gestalten schoben sich vorüber, stützten sich gegenseitig oder trugen Bahren, sahen sich um, als ob sie etwas Verlorenes suchten, gruben mit den Händen im Schutt. Wie kann man hier einen Einzelnen aufspüren? Einen einzelnen Mann? In einem Stück noch dazu?
    Überall lagen Leichen. Und Leichenteile. Sie waren seltsam ihrer Bedeutung beraubt. Fleischstücke eben. Jemand sollte sie zusammenklauben und in vergoldeten Särgen zurück nach Adua schaffen, damit der König vor ihnen salutiert und die Königin ein paar heiße Tränen über die gepuderten Wangen rollen lässt, damit die Leute sich bei dem Anblick die Haare raufen, während sie sich insgeheim fragen, was sie zum Abendessen kochen wollen oder ob sie ein paar neue Schuhe brauchen oder was ihnen sonst so durch den Kopf gehen mag.
    »Hier, hier!«, schrie Finree, und er eilte zu ihr, schob einen herabgefallenen Balken beiseite und entdeckte darunter zwei Leichen, von denen jedoch keine eine Offiziersuniform trug. Sie schüttelte den Kopf, biss sich auf die Lippe und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Mühsam unterdrückte er ein Lächeln. Ob sie ahnte, welchen Kitzel ihre Berührung in ihm auslöste? Er war gewollt. Er wurde gebraucht. Von ihr.
    Finree eilte hustend und mit tränenden Augen von einer zerstörten Ruine zur nächsten und zerrte mit den Nägeln an den Trümmern, drehte einen Toten nach dem nächsten um, und er folgte ihr. Suchte ebenso fieberhaft wie sie. Sogar noch fieberhafter. Aber aus anderen Gründen. Irgendwann werde ich einen Schuttbrocken beiseiteschieben, und darunter wird sein zerfetzter Leichnam liegen, nicht mehr halb so attraktiv wie zu Lebzeiten, und sie wird ihn sehen. O nein! O doch. Grausames, herzloses, herrliches Schicksal. Und dann wird sie sich in ihrem Elend mir zuwenden, in meine Uniformjacke weinen und vielleicht sanft mit ihrer Faust gegen meine Brust trommeln, und ich werde sie festhalten, ihr sinnlose Trostworte ins Ohr raunen und der Fels sein, auf den sie sich stützen kann, und dann werden wir zusammen sein, wie es von vornherein hätte sein sollen, wenn ich den Mut gehabt hätte, sie zu fragen.
    Gorst grinste in sich hinein und bleckte die Zähne, als er den nächsten Toten umdrehte. Wieder ein toter Offizier, dem der Arm so gründlich gebrochen worden war, dass er sich um seinen Rücken schlang. Viel zu früh von uns gegangen, hätte noch das ganze Leben vor sich gehabt, bla bla bla. Wo ist Brock? Zeigt mir Brock.
    Ein paar Steinbrocken und ein großer Krater, der sich mit schäumendem Flusswasser füllte, das war alles, was von Osrungs Brücke geblieben war. Die meisten der Gebäude in der Nähe waren nur noch Trümmerhaufen, aber ein Steinhaus schien noch halbwegs erhalten zu sein, wenn auch das Dach fehlte und ein paar der nackt aufragenden Balken brannten. Gorst kämpfte sich dorthin vor, während Finree, die sich schützend den Arm vors Gesicht hielt, noch ein paar Leichen umdrehte. Der solide Sturz über dem Eingang hatte standgehalten, auch wenn die schwere Tür halb aus den Angeln gedreht worden war. Unter ihr sah ein Stiefel hervor. Gorst beugte sich hinunter und stemmte die Tür auf, als zöge er einen Sargdeckel beiseite.
    Und da war Brock. Auf den ersten Blick erschien er nicht einmal verletzt. Sein Gesicht war blutüberströmt, aber nicht zu Brei zerschlagen, wie Gorst es sich so schön ausgemalt hatte. Eines seiner Beine lag in einem unnatürlichen Winkel unter seinem Körper, aber all seine Glieder waren noch dran.
    Gorst beugte sich über ihn und legte die Hand über seinen Mund. Atem. Noch am Leben. Das Gefühl der Enttäuschung war so heftig, dass er kurz glaubte, seine Knie würden nachgeben. Dann packte ihn reine Wut. Betrogen. Gorst, der piepsende Hanswurst des Königs, wieso sollte der auch bekommen, was er sich wünscht? Was er braucht? Was er verdient? Haltet es ihm lediglich vor die Nase und lacht! Betrogen. Genau wie in Sipani. Genau wie an den Helden. Genau wie immer.
    Gorst hob eine Augenbraue und atmete

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