Heldenklingen
Datum. Der Brief war vor sechs Tagen abgeschickt worden. Bevor ich an den Untiefen kämpfte, auf der Brücke und bei den Helden. Bevor die Schlacht überhaupt begann. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte und tat schließlich beides, erschauerte unter tränenersticktem Kichern, und glückliche Speicheltröpfchen fielen auf das Schreiben.
Spielte es eine Rolle, aus welchem Grund es geschehen war? Ich habe bekommen, was ich mir gewünscht habe.
Er stürmte aus dem Zelt und fühlte sich, als ob er noch nie zuvor das Sonnenlicht auf der Haut gespürt hatte. Die schlichte Freude der lebensspendenden Wärme auf seinem Gesicht, die streichelnde Brise. Mit feuchten, staunenden Augen sah er sich um. Der triste Hang, der sich zum Fluss hinunter erstreckte und der, als er ins Zelt ging, noch eine schlammige Wüstenei voller Unrat gewesen war, hatte sich in einen hübschen, bunten Garten verwandelt. Mit hoffnungsvollen Gesichtern und angenehmen Gesprächen. Mit Lachen und Vogelzwitschern.
»Geht es Ihnen gut?« Rurgen sah ein wenig besorgt aus, soweit Gorst das durch den Tränenschleier erkennen konnte.
»Ich habe einen Brief vom König erhalten«, quiekte er, und es war ihm egal, wie albern seine Stimme klingen mochte.
»Was steht denn darin?«, fragte Jünger. »Schlechte Nachrichten?«
»Gute Nachrichten.« Damit packte er Jünger an den Schultern und hörte ihn leicht aufstöhnen, als er ihn fest umarmte. »Die allerbesten.« Mit dem anderen Arm zog er Rurgen an sich, hob beide Männer leicht vom Boden hoch und drückte sie wie ein liebender Vater seine Söhne. »Wir fahren nach Hause.«
Gorst schritt ungewohnt gut gelaunt dahin. Ohne seine Rüstung fühlte er sich so leicht, dass er beinahe glaubte, mit einem Schritt in den sonnigen Himmel abheben zu können. Die Luft roch viel süßer, auch wenn immer noch ein Hauch von Latrineduft darin lag, und er zog sie tief durch beide Nasenlöcher ein. All seine Verletzungen, seine Schmerzen, seine Wunden, all die kleinen Enttäuschungen verblassten im alles überstrahlenden Schein.
Ich bin wiedergeboren.
Auf der Straße nach Osrung – oder vielmehr, zu jener ausgebrannten Ruinenstätte, die bis vor ein paar Tagen noch Osrung gewesen war – wimmelte es vor lächelnden Gesichtern. Ein paar Huren, die auf einem Wagen saßen, warfen ihm Kusshände zu, und Gorst erwiderte sie. Ein verkrüppelter Junge stieß begeisterte Rufe aus, und Gorst zerstrubbelte ihm fröhlich das Haar. Eine Kolonne Verwundeter schlurfte an ihm vorüber, der vorderste Mann, der an Krücken ging, nickte anerkennend, und Gorst umarmte ihn, küsste ihn auf die Stirn und marschierte dann lächelnd weiter.
»Gorst! Da ist Gorst!« Beifallsrufe wurden laut, und Gorst grinste und stieß mit der abgeschürften Faust in die Luft. Bremer dan Gorst, der Held der Schlacht! Bremer dan Gorst, der Vertraute des Königs! Ritter der Wacht, Oberster Leibwächter des Hochkönigs der Union, edel, rechtschaffen, von allen geliebt! Ihm stand alles offen. Er konnte alles haben.
Überall glückliche Szenen. Ein Mann mit Feldwebelstreifen am Ärmel wurde vom Oberst seines Regiments mit einer puddinggesichtigen Frau verheiratet, die Blumen im Haar trug, und seine Kameraden standen um ihn herum und stießen anzügliche Pfiffe aus. Ein neuer Fähnrich, der geradezu lächerlich jung aussah, strahlte ins Sonnenlicht, während er als erste Aufgabe die Fahne seines Regiments tragen durfte und die goldene Sonne der Union stolz im Wind flatterte. Vielleicht ist das sogar eine der beiden Flaggen, die Mitterick erst gestern so leichtfertig verloren hatte? Wie schnell manche Fehltritte vergeben werden. Die Unfähigen werden ebenso belohnt wie die, denen man Unrecht tat.
Wie um das zu unterstreichen, entdeckte Gorst am Straßenrand Felnigg in seiner neuen Generalsuniform, umgeben von seinen triumphierenden Stabsoffizieren. Er machte gerade einem weinerlichen jungen Leutnant die Hölle heiß, der neben einem umgekippten Wagen stand, dessen Inhalt – Ausrüstung, Waffen und aus irgendeinem Grund auch eine riesengroße Harfe – sich durch ein Loch in der Persenning über das Gras ergossen hatte wie die Innereien eines toten Schafs.
»General Felnigg!«, rief Gorst gut gelaunt. »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung!« Es gibt keinen pedantischen Trunkenbold, der sie mehr verdient hätte. Kurz dachte er darüber nach, den Mann zu jenem Duell zu fordern, zu dem er neulich abends nicht den Mut gehabt hatte. Dann
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