Heldenklingen
richtigen Dinge zur richtigen Zeit. Eine fantastische Untertreibung. Er stieß einen dramatischen, aus tiefster Seele kommenden Seufzer aus. Deswegen halte ich normalerweise ja auch meine verdammte Klappe.
Gorst wandte sich um, trottete mit geballten Fäusten durch den dämmrigen Nachmittag und sah finster zu den Helden empor, die auf der Spitze ihres stolzen Hügels ihre schwarzen Zähne in den Himmel schlugen.
Bei den Schicksalsgöttinnen, ich muss gegen jemanden kämpfen. Gegen irgendjemanden.
Aber der Krieg war vorbei.
DER SCHWARZE CALDER
N icke einfach nur.«
»Nicken?«
Espe sah ihn an und nickte. »Einfach nicken. Und dann ist das erledigt.«
»So einfach«, murmelte Calder und sank ein wenig im Sattel zusammen.
»So einfach.«
Ganz leicht. Nur ein Nicken, und dann bist du König. Nur ein kleines Nicken, mit dem du deinen Bruder tötest.
Es war heiß, ein paar Wolkenfetzen hingen über den Berghängen am blauen Himmel, die Bienen summten um die gelben Blumen am Rand des Kornfelds, der Fluss schimmerte silbern. Der letzte heiße Tag vermutlich, bevor der Herbst den Sommer davonjagte und den Übergang zum Winter einläutete. Der richtige Tag, um faul vor sich hin zu träumen und die heißen Zehen in den Untiefen zu kühlen. Vielleicht ein paar hundert Schritt flussabwärts hatten ein paar Nordmänner ihre Kleidung abgelegt und taten genau das. Am anderen Ufer, noch etwas weiter entfernt badeten einige Unionssoldaten. Das Gelächter beider Gruppen drang gelegentlich über das fröhliche Plätschern des Wassers an Calders Ohren. Vor Tagen waren sie noch Todfeinde gewesen, jetzt spielten sie wie Kinder und waren sich fast so nahe, dass sie sich gegenseitig mit Wasser hätten bespritzen können.
Frieden. Das musste wohl eine gute Sache sein.
Seit Monaten hatte er den Frieden gepredigt, darauf gehofft und darauf hingearbeitet, sich dabei wenig Freunde gemacht und noch weniger Lohn dafür bekommen, und jetzt war er da. Es war genau der richtige Tag für ein besonders süffisantes Grinsen, aber eher hätte Calder einen der großen Heldensteine heben können als seinen seiner Mundwinkel. Sein Gespräch mit dem Ersten der Magi hatte sie in einer schlaflosen Nacht enorm beschwert. Das, und der Gedanke an das Treffen, was ihm jetzt bevorstand.
»Ist er das nicht?«, fragte Espe.
»Wo?« Auf der Brücke war nur ein einziger Mann zu sehen, und den erkannte er nicht.
»Klar ist er das. Das ist er.«
Calder kniff die Augen ein wenig zusammen und beschattete sie dann gegen das helle Sonnenlicht. »Bei den …«
Bis gestern Nacht hatte er noch geglaubt, sein Bruder sei getötet worden. Er hatte damit offenbar nicht ganz falsch gelegen . Scale war ein Geist, der vom Land der Toten in ihre Welt zurückgekrochen war und so aussah, als könnte ein leichter Wind ihn wieder dorthin zurücktragen. Selbst auf diese Entfernung wirkte er verwelkt, eingeschrumpelt, und sein fettiges Haar lag angeklatscht an einer Seite seines Kopfes . Er hatte schon vorher gehinkt, aber jetzt schlurfte er seitlich dahin wie ein Krebs und schleppte den linken Stiefel über die alten Steine auf der Brücke nach. Um die Schultern trug er eine fadenscheinige Decke, die er mit der linken Hand an zwei Enden unter dem Kinn zusammenhielt, während die anderen beiden Ecken um seine Beine flatterten.
Calder glitt aus dem Sattel, warf seinem Pferd die Zügel über den Hals und lief mit brennenden Rippen seinem Bruder entgegen.
»Nicke einfach«, flüsterte Espe.
Calder erstarrte, seine Eingeweide verkrampften sich. Dann lief er weiter.
»Bruder.«
Scale sah mit zusammengekniffenen Augen auf wie ein Mann, der seit Tagen keine Sonne gesehen hat. Das eingefallene Gesicht war auf einer Seite mit verschorften Abschürfungen bedeckt, und ein schwarzer Schnitt verlief quer über der angeschwollenen Nasenwurzel. »Calder?« Er zeigte ein schwaches Lächeln, und Calder entdeckte, dass er zwei seiner Vorderzähne eingebüßt hatte und dass an seinen gesprungenen Lippen getrocknetes Blut klebte. Scale ließ die Decke los, um Calders Hand zu ergreifen, sie glitt ihm von den Schultern, und er stand da, über den Stumpf seines rechten Armes gebeugt wie eine Bettlerfrau über ihr kleines Kind. Das schreckliche Fehlen dieses Gliedes hatte etwas Unheimliches, das Calder geradezu zwang, seinen Blick dorthin zu wenden. Es sah seltsam aus, auf beinahe komische Weise verkürzt, am Ellenbogen mit schmutzigen Verbänden umwickelt, die an ihrem Ende braune Flecken
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