Heldensabbat
verschwinden ließ, mußte auch ich eines Tages wieder vorzeigbar sein. Und schließlich war der Krieg längst vorbei.
Ich wurde ein drittes Mal verlegt: in das Santé-Gefängnis von Paris. Santé heißt Gesundheit, und das war schierer Hohn. In diesem Gebäude gab es Todkranke, Verurteilte, die man morgen oder irgendwann holen und hinrichten würde: Mörder oder Kollaborateure.
Manchmal schreckte ich nachts auf, wenn ich am Gang Schritte hörte. Dann fürchtete ich, sie würden zu mir kommen. Eine Zeitlang schaltete ich ab, ließ mich gehen, merkte nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war. Noch immer sprach keiner mit mir, und das war die größte Tortur. Manchmal führte ich laute Selbstgespräche, um festzustellen, ob ich noch eine Stimme hatte.
Ich konnte nicht sagen, ob ich Wochen oder Monate verhaftet war. Drei Schritte vor, drei zurück. Die Zelle war winzig, rechteckig, ein kleiner Tisch, ein hölzerner Schemel, eine eiserne Pritsche mit einer Matratze, ein Kübel mit Patentverschluss und an den Wänden in der Keilschrift der Messerspitze kleine Zoten und verwitterte Namen. An der Stirnseite, viel zu hoch, ein vergittertes Fenster, durch das Licht in das Halbdunkel fiel.
So gut es ging, war ich immer der Erinnerung ausgewichen, aber im Santé-Gefängnis misslang es gründlich: Ich dachte an Claudia, meine Jugendliebe, an Sibylle und an ihren Bruder Rolf, meinen Mitschüler. An den großartigen Dr. Faber, an die liebeshungrige Lydia und an den dicken Benno. Plötzlich fiel mir auch Peter Steinbeil wieder ein, den ich schon vergessen hatte, der Junge mit der schweizerischen Mutter, den wir Tarzan genannt und dem ich in einem beispiellosen Tauschhandel einen Reisepaß verschafft hatte. Dann rauschten wieder Bomben vom Himmel. Volltreffer. Totalschaden. Amen.
Essensausgabe. Ein Kalfaktor blinzelte mir zu, als er mir die Hundeschüssel zuschob; auf ihrem Boden fand ich ein Kassiber: »Halte durch, Stefan, bald ist alles überstanden.«
Kalles Nachricht riß mich wieder ins Leben zurück. Der Mann mit den Beziehungen war kein Schwätzer. Er machte Nägel mit Köpfen, das bewies er allein schon durch die eingeschmuggelte Nachricht.
Ich nahm mich zusammen. Ich achtete wieder darauf, ob es Tag oder Nacht war. Kurze Zeit später erhielt ich auf gleichem Weg eine französische Zeitung: Unübersehbar der Mann auf der Frontseite.
Darunter die Schlagzeile: ›Lieutenant-Colonel Prenelle verhaftet‹.
Es war offensichtlich eine erste, heiße Nachricht.
Den Bericht fand ich im Innern des Blattes:
»Wie wir kurz vor Redaktionsschluß erfahren, wurde Lieutenant-Colonel Alain Prenelle, der wegen seiner Tätigkeit für die Résistance bei Kriegsende ausgezeichnet und befördert worden war, überrascht verhaftet. Durch die Aussage eines deutschen Prisonnier de guerre in amerikanischen Diensten ergaben sich Hinweise, daß Prenelle als Spitzel für die Gestapo in Lyon tätig gewesen war.
1943 hatte der Verdächtige in der Nähe von Saint Etienne einen Gefangenentransport überfallen und seinen späteren Schwiegervater, Georges Pantoullier, aus der SD-Haft befreit. Nunmehr besteht der dringende Verdacht, daß dieser Coup gestellt war, um Alain Prenelle das Vertrauen der Widerstandsbewegung zu verschaffen. Er soll hier Informationen gesammelt haben, die später zur Verhaftung einiger Patrioten führten.
Ermittlungen sind im Gange.«
Deutscher PoW in US-Diensten?
Es hörte sich nach Bongo an, dem Mann, der Beziehungen zu allen und jedem hatte, »lange Arme«, wie es die Franzosen nennen. Jetzt erinnere ich mich auch, wie sich Kalle einmal entsetzt darüber geäußert hatte, daß der US-Geheimdienst einige der übelsten Kreaturen der Gestapo von Lyon als Handlanger beschäftigte.
Vielleicht hatte Madame Prenelle seit langem einen Verdacht gegen ›le cocu‹ gehegt, war aber damit nicht durchgedrungen, deshalb mußte vermutlich ich zur Zündschnur des Skandals werden.
Eine schöne, aufregende Zeit mit ihr lag hinter mir, aber ich war nur Adriennes ›nützlicher Idiot‹ gewesen.
Die Bestätigung kam rasch.
Am nächsten Tag wurde ich aus der Zelle geholt, über den langen Gang geführt, vorbei am Exekutionsraum, in das Dienstzimmer des Directeur; er brachte die Diensthandlung so schnell hinter sich, daß ihm keine Zeit blieb, mir einen Stuhl anzubieten.
Neben ihm stand ein Dolmetscher.
»Monsieur Hartwig«, sagte er, »ich eröffne Ihnen, daß das Verfahren gegen Sie ausgesetzt wurde. Sie werden unverzüglich der
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