Heldensabbat
US-Army als Kriegsgefangener zurückgegeben. Gleichzeitig teile ich Ihnen mit, daß Sie die US Army entläßt. Sie werden ausgewiesen und heute noch in Ihr Heimatland verschoben.« Er machte eine kurze Pause. »Sie haben in den nächsten zwei Jahren nicht das Recht, Frankreich zu betreten. Avez-vous entendu, Monsieur Hartwig?«
»Oui, Monsieur le Directeur«, erwiderte ich. »Merci bien.«
Vor dem Gefängnis stand ein Jeep der französischen Armee. Er schaffte mich nach Le Bourget. Der Fahrer jagte so schnell durch die Straßen von Paris, daß ich die hübschen Frauen und Mädchen auf den Boulevards nur als Farbkleckse wahrnehmen konnte. Offensichtlich war die französische Armee bestrebt, mich den Journalisten vorzuenthalten. Aus dem politischen Fall Prenelle mußten die pikanten Details, also die hübsch-frivole Adrienne, ausgeklammert werden.
Der Jeep hielt vor der Einfahrt des Flughafens. Die Franzosen übergaben mich formlos amerikanischen Militärpolizisten mit weißen Helmen und weißen Koppeln. Ich stieg von einem Jeep in den anderen um. Der Wagen rollte über den Flugplatz und hielt vor einer Maschine der US Air Force. Die Verwirrung endete, als ich, unübersehbar auf der Landetreppe, Bongo erkannte. Er wirkte prall wie ein Sack, der gleich platzen mußte, und heraus kamen fraglos lauter Goldstücke.
Er kam mir entgegen, boxte mich in die Seite. »Bleich, aber gefaßt wie Maria Stuart auf dem Schafott«, begrüßte er mich. »Junge, Junge, du hast uns ganz schön auf Trab gehalten. Was meinst du, was wir für eine Arbeit mit dir hatten, Ladykiller.«
»Ich hab' gewußt, daß ich mit dir rechnen kann, Bongo«, erwiderte ich. »Herzlichen Dank.«
»Schnauze«, knurrte Kalle. »Bedank dich lieber beim Captain.«
»Ist Gransmith doch noch in Paris?« fragte ich.
»Der ist schon lange in Amerika. Ich meine, bei Captain Stone.«
Wie auf ein Stichwort erschien ein vierschrötiger, hochgewachsener US-Offizier im Luk, jede Menge Lametta auf der Brust. Sein »Silverstar« glänzte in der Mittagssonne, aber mit Heldenblech konnte man mir nicht mehr imponieren, nicht einmal mit alliiertem.
»Mittelstürmer Steinbeil meldet sich zur Stelle, Fähnleinführer«, sagte der Captain in Deutsch.
Die Begrüßung warf mich fast von den Beinen: Captain Stone war mein früherer Mitschüler Peter Steinbeil, alias Tarzan.
»Hallo, Stefan«, fuhr er fort. »Ich mache heute Tabula rasa: Du hast mir damals ins Ausland weitergeholfen, und ich schaff dich heute ins Vaterland zurück. Starr mich nicht so an. Ich bin kein Hochstapler. Es gibt für alles eine natürliche Erklärung: Meine Mutter hat einen Amerikaner geheiratet – und so wird man Alliierter.«
»Ich verdank' dir die Befreiung aus dem Santé-Gefängnis?«
»Ja, Bongo und mir – die Franzosen waren ganz schön hartnäckig. Wirklich schade, daß ich ihnen absolute Diskretion garantieren mußte. Dein Fall wäre ein Fressen für die Presse.«
»Was ist eigentlich aus Adrienne geworden?« wandte ich mich an Kalle Klett, alias Bongo.
»Ich fürchte, daß du künftig auf die Dame verzichten mußt«, erwiderte er. »Sie hat einen mächtigen Gönner gewonnen, der sie aus allem heraushält.« Er grinste. »Einen US-General.«
Wir kletterten über die Landetreppe. Der Pilot fuhr die Maschine langsam über die Betonpiste und erhielt Starterlaubnis.
»Wohin fliegen wir eigentlich?« fragte ich.
»Zunächst nach Wiesbaden-Erbenheim«, erwiderte Captain Stone.
»Und dann?«
»Dann fahren wir weiter nach Mainbach«, erklärte Ex-Tarzan. »Hast du denn damals meinen Brief nicht bekommen?« fragte der Jugendfreund und lächelte. »Hab' ich dir nicht geschrieben: ›Vielleicht gibt es ein Wiedersehen, irgendwann, irgendwo –‹«
»Das hast du«, bestätigte ich. »Vielen Dank übrigens, Peter. Du hast mir damals sehr imponiert, obwohl ich ja noch in brauner Vollnarkose lag.«
»Wir waren von jeher freundliche Gegner«, entgegnete der Captain.
Ich hätte mir zu der Situation gratulieren müssen, aber ich kam mir nicht vor wie ein Kriegsgefangener auf dem Weg in die Freiheit, eher wie ein Verbrecher, der in ein anderes Land ausgeliefert wird. Auf einmal wurde die Erinnerung frei und erschien an der Oberfläche wie ein Frostausbruch. Was ich in einer Steinzeit von fast neun Jahren erlebt habe, holte mein Bewußtsein aus der Versenkung, und ich erlebte alles noch einmal, als hätte es sich gestern ereignet.
2
Die schmalen Gassen und historischen Straßen haben die
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