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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ich ihn hintergehe.«
    »Du hast eigentlich ganz recht«, erwidert Stefan. »Betrügen ist wirklich falscher Sprachgebrauch, aber er ist üblich, und – ich hab' noch gar nicht darüber –«
    »Also«, unterbricht ihn Lydia, »ich mach' mir keine Vorwürfe. Nicht im geringsten, aber die Nachbarn brauchen schließlich nicht zu merken, wenn ich mal Besuch habe. Ich weiß, was Erich in Hamburg alles treibt. Ich hab' ihn vor zwei Monaten besucht, es sollte eine Überraschung sein, und das war's dann auch – aber für mich.«
    »Wieso?« fragt Stefan.
    »Eine Bude wie ein Freudenhaus. Und der entsprechende Harem dazu. In der Nähe ist ein Lager für RAD-Führerinnen. Verstehst du?«
    »Was ist das bloß für eine Ehe?«
    »Eine Kriegsehe«, versetzt Lydia.
    »Aber das ist doch nicht bei allen so«, entgegnet der Junge betroffen.
    »Aber bei vielen. Schau mich nicht so vorwurfsvoll an, Stefan. Die Männer machen sowieso meistens, was sie wollen. Und alle Frauen sind nicht so unnahbar, wie sie sich geben. Es gibt solche, die es nötig haben, und andere, die darauf verzichten können. Die kannst du für die Besseren halten, aber vielleicht haben sie von der Natur bloß zu wenig mitbekommen. Das ist dir doch klar«, fährt Lydia mit ihrer Offensive gegen den Wohlanstand fort, »am keuschesten sind immer die, denen es am leichtesten fällt.«
    Stefan denkt an seine Mutter, schüttelt den Kopf. »In deinem Fall«, setzt er an und verbessert sich hastig: »Ich meine, in unserem Fall ist es wirklich etwas anderes … Du hast deine Gründe, und dein Erich ist ja nicht im Einsatz«, rettet er sich selbst in eine Ausrede. »Außerdem kennen wir uns ja auch schon länger. Wenn der Mann an der Front steht, dann ist es etwas anderes, dann kann er doch verlangen, daß sich seine Frau zu Hause am Riemen reißt.«
    »Du bist vielleicht ein komischer Vogel«, erwidert Lydia. »Zuerst rammelst du, daß die Wände wackeln, und dann predigst du Moral.« Sie wird ärgerlich und läßt es sich auch anmerken. »Entweder ja oder nein. Entweder Befriedigung oder Verzicht. Ich will dir noch was sagen – ich fürchte, du lernst heute eine Menge dazu –: Eine Frau, die es allein nicht mehr aushält und einen netten Mann findet, der die Einsamkeit mit ihr teilt, ist noch lange nicht verhurt. Nicht einmal, wenn sie in seinen Armen wenigstens vorübergehend Geborgenheit findet. Eine Frau hat ihre Sehnsüchte, ihren Anspruch, ihr Verlangen, und wenn das in der langen Trennungszeit übermächtig wird –«
    »Entschuldige«, unterbricht sie Stefan. »So hab' ich's doch wirklich nicht gemeint. Und im übrigen kommt es ja wohl auf den Einzelfall an.«
    »Natürlich«, versetzt Lydia. »Aber die Einzelfälle werden zu Tausenden, zu Hunderttausenden und bald wahrscheinlich noch mehr.« Sie richtet sich auf, betrachtet ihn. »Weißt du, was es heißt, wenn du dem Briefträger entgegensiehst und nicht weißt, ob er dir einen schnell hingeschriebenen Gruß deines Mannes bringt oder die Todesnachricht?«
    »Kann ich mir schon denken«, erwidert Stefan mehr höflich als überzeugt. Aber dann fällt ihm Rolf ein, der mit ihm acht Jahre lang auf der Schulbank gesessen hat, mit dem er mindestens jeden Mittwoch und Samstag in seinem Jungvolkfähnlein zusammen war und der als halbflügger Jagdflieger den Tod ohne Verklärung gefunden hat. Stefan stellt sich vor, wie seine Mutter reagieren würde, falls er fallen sollte. Es sind schlimme Gedanken: Er wischt sie rasch weg, betrachtet Lydia, und was ihn jetzt überkommt, die Sehnsucht nach Leben, ist meilenweit weg vom Heldentod.
    Er drängt seine Wildheit zurück, streichelt Lydia mit Händen, die heute auch viel dazugelernt haben. Er wird auf einmal zärtlich. Erfüllt und sehnsüchtig liegen die beiden nebeneinander, doch ihr Körperstillstand ist trügerisch.
    »Und was machen wir, wenn du ein Kind bekommst?«
    »Das werde ich nicht«, versetzt Lydia.
    »Aber ich hab' nicht aufgepaßt«, gesteht der Junge.
    »Das brauchst du nicht bei mir. Ich bekomm' keine Kinder.«
    Stefan bleibt bis zur letzten Minute, auf die Gefahr hin, zu spät nach Pasewalk zurückzukehren.
    »Wie lange bleibt deine Einheit in der Gegend?« fragt Lydia beim Abschied.
    »Mindestens noch zwei Monate«, antwortet er, »und ich besuche dich, so oft ich kann. Ich habe 'ne gute Nummer beim Spieß – und so bekomm' ich Ausgang. Ich bin nämlich kein schlechter Panzersoldat.«
    »Kann ich mir denken«, entgegnet Lydia.
    Stefan hält Wort.

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