Heldensabbat
gepflegten Gärten umgebenen Einfamilienhäuser des Rechtsanwalts Dr. Wolf Hartwig und des früheren Bankdirektors Gernot Steinbeil nebeneinanderliegen. Der katholisch-konservative Jurist und der liberale Finanzfachmann, Freimaurer und frühere Reichstagsabgeordnete hatten als politische Gegner bis zum Machtantritt der Braunen mitunter heftig die Klingen gekreuzt und waren nach 1933 – beide als Gegner des NS-Regimes abgestempelt und bei der kleinsten Unvorsichtigkeit von Verhaftung bedroht – zu persönlichen Freunden geworden, bis Gernot Steinbeil vor zwei Jahren an einem zu spät erkannten Blinddarmdurchbruch gestorben war – noch keine fünfzig Jahre alt.
Der gefragte Rechtsanwalt ist zur Zeit Strohwitwer. Seine Frau und seine achtjährige Tochter verbringen einen Ferienurlaub in der Fränkischen Schweiz. Sein Bruder Friedrich, der das vom Großvater gegründete Haushaltswarengeschäft weiterbetreibt, brachte heute Abend einen neuen Gartenschlauch; gemeinsam sprengten sie den Rasen und genießen jetzt bei einer Flasche Wein die leichte Abkühlung.
Wolf Hartwig stellt fest, daß auch seine Nachbarin mit dem Gießen fertig geworden ist. Er tritt an den Zaun, um ihr einen guten Abend zu wünschen: »Hätten Sie Lust auf ein Glas Wein, Frau Steinbeil?«
»Aber Sie haben doch Besuch, Doktor.«
»Mein Bruder ist schon im Aufbruch.«
»Ich wasch' mir nur noch die Hände«, erwidert die schöne Nachbarin burschikos. »Danke für die Einladung.« Die jugendlich wirkende Witwe, der keiner etwas nachsagen kann, und das in Mainbach, wo man den Nächsten nicht selten besser kennt als sich selbst, ist eine attraktive Frau, elegant sogar noch im Gartenkleid, das selbst mit tiefem Ausschnitt und nur von Trägern gehalten dezent wirkt.
»Mein Bruder«, stellt Wolf Hartwig vor und setzt erläuternd hinzu: »Stefans Vater.«
»Ich bleib' nur noch eine Anstandsminute, gnä' Frau«, sagt Friedrich Hartwig, offensichtlich überrumpelt von ihrem jugendlichen Charme.
Es werden zehn Minuten, bis er sich verabschiedet.
»Merkwürdig«, sagt die gebürtige Schweizerin – seit achtzehn Jahren naturalisierte Deutsche –, »Stefan sieht Ihnen weit mehr ähnlich als seinem Vater.«
»Das stellten schon viele Leute fest«, bestätigt der Jurist. »Leider gleicht mir mein Neffe sonst nicht so sehr.«
»Ein netter Junge«, erwidert die schöne Nachbarin. »Intelligent, doch naiv und trotz dieser schrecklichen Einflüsse offen und anständig.«
»Ein anständiger Fanatiker«, erwidert der große schlanke Mann mit feinem Spott. »Falls es so etwas gibt. Und Ihr Junge ist Stefans großer Rivale.«
»Das stimmt schon, aber irgendwie respektieren sich die beiden, trotz aller Gegensätze.« Abrupt wechselt die Besucherin das Thema: »Kann ich Sie morgen in Ihrer Kanzlei aufsuchen, Doktor?«
»Nicht nötig«, entgegnet Hartwig. »Meine Sprechstunde ist hier – ich bin morgen mit Terminen bis in den Abend ausgebucht.« Er schenkt seinem Gast nach. »Probleme?«
»Ein Problem«, erwidert die neue Klientin. »Allerdings ein dringendes.« Sie berichtet, daß ihr und ihres Sohnes Pässe von der Polizeibehörde eingezogen wurden, weil sie abgelaufen sind. Mit der Neuausstellung wurde sie bislang unter ziemlich fadenscheinigen Vorwänden vertröstet. »Ende vorletzter Woche wollten wir abreisen«, erklärt Maria Steinbeil. »Die Fahrkarten hatten wir längst gekauft, und jetzt liegen wir fest.«
»Und jetzt möchten Sie –«
»– daß Sie die sofortige Neuausstellung unserer Pässe auf rechtlichem Weg erzwingen«, unterbricht ihn Tarzans Mutter, »und uns dabei vor dem Verwaltungsgericht vertreten. Sie haben sich doch öfter an solche Dinge herangewagt, Doktor.«
»Richtig«, antwortet der Anwalt. »Deswegen bin ich für Sie nicht der richtige Mann – und das Verwaltungsgericht ist ebenfalls die falsche Instanz. Die Verwaltung«, erklärt er, »ist die Partei. Oder die Gestapo. Allein diese beiden Organisationen bestimmen, was geschieht – und zwar unter Ausschluß des Rechtsweges. Was sind Ihr Mann und ich doch für politische Narren gewesen! Statt gegen diese braune Bande zusammenzustehen, haben wir –«
»Sie sollten etwas vorsichtiger sein, Doktor«, unterbricht ihn seine Nachbarin und sieht sich nach unsichtbaren Zuhörern um.
»Richtig, Frau Steinbeil«, versetzt der Anwalt. »Aber nicht bei Ihnen, und nicht im eigenen Haus. Und manchmal muß ich mir Luft machen, sonst erstick' ich.«
»Was schlagen Sie
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