Heldensabbat
bleiben in Verbindung«, sagt sie, »nicht?«
»Ja«, erwidert der Assessor. Er ärgert sich, daß ihm nichts anderes einfällt.
Vor ihrer Wohnung reicht Sibylle Faber die Hand. Sie ist schmal, ihr Druck fest. »Auf Wiedersehen«, sagt sie. Ihre Stimme klingt voll und warm.
Auf Wiedersehen, hallt es in ihm nach. Vor seiner Zukunft, die ihm in dieser Nacht trübe erscheint, schiebt sich allmählich das Bild eines Mädchens mit einem schmalen Gesicht, mit dichten, natürlichen Brauen über klaren, selbstsicheren Augen.
Und jetzt weiß er auf einmal, daß diese Augen braun sind, wie frisch aufgeworfene Erde im Frühling.
Nach einem vereitelten Aufstand war den Mainbachern im Mittelalter von ihrem Fürstbischof verboten worden, ihr Rathaus auf seinem Grund und Boden zu errichten. Das Verdikt des zürnenden Landesherrn umgehend, setzten sie das Gebäude zwischen zwei Brücken als Insel-Rathaus ins Wasser der Regnitz und erbauten so Deutschlands originellstes Bürgermeisteramt. Anno Domini 1744 begann ein Schüler des großen Balthasar Neumann das Alte Rathaus umzubauen, er erhielt die gotischen Gewölbe im Erdgeschoß, den bereits 1321 urkundlich erwähnten Brückenturm als Zentrum des mit ausladenden Rokokobalkonen geschmückten Gebäudes, das als Monument barocker Profanbaukunst Kunstgeschichte machte.
Nach Norden hat der Besucher einen Ausblick in das pittoreske Fischerviertel, genannt Klein-Venedig. Die Südseite wurde später durch einen schönen Fachwerkbau ergänzt, den Amtssitz des Rottmeisters, der für die Schicklichkeit einer lebensfrohen Stadt verantwortlich war. Der Hort des amtlichen Tugendwächters wurde an den Rathausturm angeklebt wie ein riesiger Adlerhorst, doch nunmehr schwebt er in der Niederung, denn ausgerechnet das stilvolle Rottmeister-Häuschen hat die Politische Polizei für ihre Zwecke in Beschlag genommen.
Die Karriere des Leiters dieser Behörde im Adlernest – sie wird bald ganz in der Gestapo aufgehen – hat noch keinen Höhenflug genommen. Kriminaloberkommissar Bruckmann, ein untersetzter Mann mit einem schlagflüssigen Gesicht, ist seit dem braunen Machtantritt erst einmal befördert worden. Seine Untergebenen nennen Bruckmann hinter seinem Rücken »Duckmann«, und dieser Spitzname hat eine aktive wie passive Bedeutung; einerseits macht er bei den Vernehmungen Verdächtige auf die joviale Tour erbarmungslos nieder, andererseits aber kuscht er vor der SD-Außenstelle des SS-Hauptsturmführers Panofsky, als fürchte er, eines Tages zu den Leuten zu gehören, die sich Himmlers Mann in Mainbach persönlich vornimmt. Diese Befürchtung ist so abwegig nicht. Bruckmann hatte, freilich an subalterner Stelle, vor 1933 die Braunhemden genauso konsequent verfolgt, wie er jetzt die Feinde der Bewegung jagt. Er tut immer seine Pflicht, und diese erfordert, der jeweiligen Obrigkeit bedingungslos zu gehorchen. Außerdem setzt er sich immer voll ein, weil er vorankommen will. Die Politische Polizei ist selbst unter den Beamten seit jeher wenig beliebt, und so versuchen die meisten schleunigst in eine andere Abteilung versetzt zu werden. Daran hat sich auch nach der totalen Gleichschaltung nicht viel geändert, obwohl der Politischen Polizei nunmehr außergewöhnliche Mittel zur Verfügung stehen: Sie kann Verdächtige, vorbei an den »ordentlichen« Gerichten, ohne weiteres Federlesen gleich nach Dachau schicken.
Aus dem Radio dröhnen überwältigende Nachrichten: Der greise britische Premierminister Chamberlain hat sich zum ersten Mal in seinem Leben in ein Flugzeug gesetzt, um wegen der Tschechen-Krise mit dem Führer zu verhandeln. Sichtbar nervös schaltet der Kripo-Oberkommissar den Kasten ab. Zuerst hat ihn an diesem Morgen Rechtsanwalt Vollhals, ein Günstling des Kreisleiters, traktiert, und nunmehr läßt ihn die Hainstraße wissen, daß er sich für eine Besprechung mit dem Hauptsturmführer Panofsky bereithalten solle.
Die Hainstraße ist die Prachtallee Mainbachs, bis vor kurzem noch vorwiegend Sitz der reichen Hopfen-Juden, nunmehr Domizil der Parteizentrale, des Blutordensträgers, des Kreisleiters und anderer NS-Hoheitsträger. Vor ihrer Emigration waren die eigentlichen Hausbesitzer mit den Mainbachern recht gut ausgekommen, sogar mit pfiffigen Wechselbeziehungen zwischen arm und reich: In der Zeit, in der die Adolf-Hitler-Straße noch Lange Straße hieß, hatten die Minderbemittelten die Leber ihrer Weihnachtsgans im Delikatessengeschäft Thomas abgeliefert und für den
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