Heldensabbat
Schütz zu tun?«, fragt Faber.
»Das Wehrbezirkskommando erkundigt sich bereits vorsorglich bei Behörden und Betrieben über die Abkömmlichkeit Wehrfähiger. Ich muß dir sagen, Hans, vor einer guten Woche kam eine Antwort von deinem Gymnasium: Unabkömmlich, uk-gestellt also, sind, so weit ich des beurteilen kann, nur die Nazis. Du jedenfalls«, sagt er und lächelt schräg, »bist nach Mitteilung von Dr. Schütz der Abkömmlichste.«
»Das wäre doch gar keine so schlechte Lösung«, erwidert der Assessor. »Das brächte mich wenigstens am Gymnasium aus der Schußlinie.«
»Aber vom ersten Kriegstag an in die Frontlinie«, erwidert der Sachbearbeiter Heer beim Wehrbezirkskommando. »Du wirst es erwarten können. Man wird dich noch früh genug zum Kommiß einziehen.« Claus betrachtet sein verkürztes Bein. »Ich hab' mich nie so recht damit abfinden können, daß mir beim Barras ein Lastwagen über den Fuß gefahren ist und ich seitdem als Krüppel durchs Leben humple – aber vielleicht war dieser Unfall gar nicht so schlecht.« Sein verkrampftes Lächeln lockert sich, wirkt jetzt pfiffig. »Übrigens hab' ich den Wisch des Oberstudiendirektors Schütz so ablegen lassen, daß ihn so schnell keiner findet. Und Roberts Prachteinfall wird sicher Folgen zeitigen, wenn der Mann wirklich ein solcher Opportunist ist.«
»Das ist er«, bestätigt Faber. »Der hat schon an jedem Strick gezogen.«
»Versteh' ja nicht, warum die Nazis nicht einen Hundertprozentigen zum Schulleiter gemacht haben, einen Alten Kämpfer oder so was –«, sagt der Jurist.
»Die Bande ist schlauer, als du annimmst, vor allem in Mainbach«, erwidert Hans Faber. »Der Vorgänger des Dr. Schütz, den sie unter einem fadenscheinigen Vorwand in die Wüste geschickt haben, war ein profilierter Katholik. Sie sind einfach den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, um den Kontrast nicht gar so deutlich werden zu lassen, und ein Mann wie Dr. Schütz, dem sie aufgrund seiner Vergangenheit jederzeit die Daumenschrauben anlegen können, ist ein fügsameres Werkzeug als ein echter Parteimann. Vermutlich ist Schütz nur eine Lösung auf Zeit.«
»Den wirst du vermutlich überleben, Hans«, erwidert Claus grimmig und hebt wieder das Glas. »Prost!«
»Darauf trink' ich mit«, antwortet der Anästhesist und setzt mit einem gewissen Blinzeln hinzu: »Und dann noch einen Schluck auf die Liebe, bitte.«
»Hans?« fragt Claus. »Verliebt? Ich fürchtete schon, er hätt's verlernt.«
»Ich bin diskret«, erwidert der Freund. »Aber frag ihn doch mal –«
Dr. Faber läßt sich nicht lange bitten; der KdF-Ausflug nach Italien, bei dem er sich nach dem Willen Sibylles einschleichen soll, ist sein zweites Problem. Natürlich möchte er mit Sibylle nach Italien reisen – aber doch nicht so.
»Was bist du nur für ein Trauerkloß geworden«, kontert Robert. »An der Uni warst du unser erfolgreichster Aufreiber, kaum zu bremsen, immer auf Achse, der schiere Casanova. Und jetzt?«
»Sibylles Bruder ist mein Schüler, vergeßt das nicht. Ich bin sein Lehrer, ich bereite ihn auf das Abitur vor. Ich bin seinen Eltern irgendwie verantwortlich –«
»Mensch, Hans«, beendet Claus die Diskussion, »in erster Linie bist du dir verantwortlich. Es geht um dein Leben, um dein Mädchen, um dein Glück.«
»Und darauf heben wir noch einen«, sagt Robert und öffnet die nächste Flasche. »Oder hast du das Trinken auch verlernt?«
»Nichts hab' ich verlernt«, protestiert Faber.
»Also kein hoffnungsloser Fall«, konstatiert der Freund, und die ›Drei Musketiere‹ lachen und zechen noch bis Mitternacht.
Dem Patienten Dr. Schütz geht es schlechter; er wird im Sud der Angst gar gekocht. Da er ein schlechtes Gewissen hat, kommt er gar nicht dazu, darüber nachzudenken, wie schwach die Position des Mediziners ist, der ihn drillt wie einen Fisch an der Angel. Es gibt da einige Punkte in seiner Vergangenheit, die Dr. Klimms Beschuldigungen – oder Verleumdungen? – im Falle eines Falles unterstützen würden. In jedem Falle wäre dem Schulleiter die Erörterung mehr als peinlich und seiner Karriere mehr als schädlich.
Seine Gedanken wieseln zurück. Was können sie mir vorwerfen? Welche Beweise haben sie, überlegt er fiebrig. 1926 pathetische Geburtstagsrede für den Reichspräsidenten Ebert, den Sozialdemokraten. In einer Festschrift gedruckt, von Dr. Schütz später aus dem Akt entfernt. Gastspiel beim Zentrum. Stellungswechsel 1930. Bekenntnis zu
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