Heldenstellung
dann wieder eine Runde mit ihm drehen würden«, bin ich mir sicher.
Zum Abschied küsst mich Frau Merler-Beckscheid auf beide Wangen und verspricht, so schnell wie möglich für einen Anschlussjob zu sorgen.
Jetzt hat sich Satan auf dem teuer aussehenden Perserteppich zusammengerollt und lässt sich von Jessica, die neben ihm kniet, hinterm Ohr kraulen. Mein Vater kommt hinter seinem Schreibtisch hervor.
»Jessica, würden Sie bitte den Hund entsorgen, er hat seine Aufgabe erfüllt.« Als sie mir die Leine aus der Hand nehmen will, berühren sich unsere Hände, und wir bekommen einen elektrischen Schlag – obwohl sie High Heels trägt, ich Schuhe mit Ledersohlen und wir beide nicht auf dem Teppich geblieben sind. Unsere Blicke treffen sich, sofort schlägt sie die Augen nieder und versucht, die Hundeleine an sich zu nehmen. Aber ich kann Satan nicht einfach gehen lassen. Was für ein Freund wäre ich? Also halte ich die Leine fest.
»Interessant«, sagt mein Vater. »Du übernimmst Verantwortung, bist sogar bereit, dich mit denen ganz oben anzulegen.« Er deutet auf sich.
»Der Hund gehört einem Freund. Ich bringe ihn heute Abend selbst zurück«, bestimme ich.
Mein Vater betrachtet mich nachdenklich: »Herausforderung, Problemanalyse, Lösungsvorschlag«, murmelt er und wendet sich an seine Assistentin.
»Ruf einen Dogsitter, der sich um den Hund kümmert, bis mein Sohn ihn heute Abend abwickelt.«
»Abwickelt?«
»Abgibt«, korrigiert sich mein Vater.
Jessica sieht mich freundlich an, und ich gebe ihr zögernd die Hundeleine. Satan folgt ihr lammfromm. Hätte ich genauso gemacht.
Als wir im Büro meines Vaters allein sind, baue ich mich vor ihm auf.
»Bitte gib mir eine Chance. Du hast gesehen, dass ich Leute überzeugen kann. Es muss doch nicht jeder Berater einen Harvard-Abschluss haben. Karl May hat auch nie Indianer gesehen, und die Leute haben seine Bücher geliebt.«
»Karl May war ein Säufer.«
»Das war ich auch.«
Mein Vater legt die Handflächen aneinander und führt sie nachdenklich an die Lippen. »Wir haben hier auch Lateral Hires, Quereinsteiger. Aber leider hast du zu viel Mist gebaut.«
»Ich kann das schaffen. Hiermit bewerbe ich mich bei dir um einen Job. Einen echten Job als Berater.«
Mein Vater sieht mich fragend an.
»Stell dir vor, um die Erde läge ein Seil auf Höhe des Äquators. Um wie viel Zentimeter würde es sich vom Boden heben, wenn man es um einen Meter verlängerte?«
Ich bin ratlos.
»So was macht doch keiner. Ist viel zu teuer.«
»Falsch. 16 Zentimeter. Da kann eine Maus aufrecht durchgehen. Der Job ist eine Nummer zu groß für dich.«
»Das sagst du !«
Er blättert in einer Broschüre, die auf seinem Schreibtisch liegt.
»Du hast doch gestern die jungen Elitestudenten gesehen?«
Ich sehe ihn abwartend an, er fährt fort: »Die haben gestern und heute Tests absolviert. Morgen fahren sie mit den Anwärtern aus den anderen Offices für den Abschlussevent in ein Schloss in der Schweiz. Fünf Sterne plus und das beste Spa Europas. Dort finden wir heraus, wer von ihnen zu uns passt, und wo wir ihn einsetzen könnten. Caesar & Horn haben verschiedene Unterfirmen, eine Menge Partner und vor allem auch Kunden, die über die Vermittlung von Arbeitskräften dankbar sind, die unsere Tests durchlaufen haben. Ich kann leider nicht dabei sein, ich habe einen Termin in Moskau. Schauspieler haben wir bisher noch keine gehabt. Aber wenn du dir unbedingt eine Abfuhr holen willst, schreibe ich dich auf die Teilnehmerliste. Vielleicht springt ja ein Job für dich heraus.«
»Klingt fair.«
»Ist es nicht, die anderen sind viel besser als du.«
»Kommt Jessica auch mit?«, will ich wissen.
Mein Vater nickt. »Sie leitet eins der Seminare.« Er blättert in der Broschüre. »Ja, hier. Work-Life-Balance für High Potentials.« Er zwinkert mir zu. »Sie will ja nicht ihr ganzes Leben lang Assistentin bleiben. Da kann sie sich mal ein bisschen ausprobieren.«
Das Telefon auf seinem Tisch klingelt. Er hebt ab, murmelt: »Ja, ja, bis gleich« und zieht sich sein Jackett über. »Ich muss weg«, sagt er. »Wir sehen uns später!«
Als er draußen ist, lasse ich meinen Blick über seinen Schreibtisch wandern. Auf der Mappe, in der mein Vater geblättert hat, steht Caesar & Horn: Recruiting-Center, Tasks & Solutions. Ich schiebe die Mappe beiseite. Darunter liegt der Crashkurs Unternehmensberatung .
Ich stecke beides ein und verlasse das Büro.
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