Heldenstellung
sagen.
Error hat inmitten seiner Klötze, Kissen und Bänder bereits die Hundestellung eingenommen. Als Sina zu uns herüberschaut, streckt er sich, dass der Buckel in seiner Wirbelsäule verschwindet. Error atmet tief und gleichmäßig.
Sina nickt stolz. »Bei wem hast du dir denn diesen Hund abgeschaut?«, will sie wissen.
»Bei Satan«, entgegnet Error, wirft mir einen vielsagenden Blick zu, lässt den Kopf aber dann gleich wieder vorschriftsmäßig hängen.
In den vergangenen Wochen ist er zu einem echten Yogatalent avanciert. Neulich habe ich gesehen, wie er in einer Vorwärtsbeuge mit den Fingerspitzen den Boden berührt hat – mit durchgestreckten Beinen! Ohne Hilfsmittel. Aber seine wahre Stärke sind die Stehhaltungen. Jeder normale Mensch, der einen so großen Bauch mit sich herumträgt, würde wahrscheinlich umfallen – nicht aber Error. In der Heldenstellung steht er wie ein Held, in der Dreieckstellung wie ein Dreieck, und im Baum steht er so fest, dass Satan wahrscheinlich sein Beinchen an ihm heben würde – wenn er schon wieder da wäre.
Sina bekommt gar nicht mit, dass sich mein Freund nur für sie so ins Zeug legt. Mit dem Flirten klappt es bei Error immer noch nicht so gut.
»Meinst du, das ist der richtige Weg?«, will ich wissen.
Error zuckt mit den Achseln, was in der Hundestellung etwas komisch aussieht. »Sonst hab ich ja nicht so viel zu bieten«, meint er. »Wahrscheinlich stehen einfach alle Yoga-Azubis auf ihre Lehrer.«
Ein Höhepunkt jeder Stunde sind für mich die Yoga-Talks. Oft finde ich mich in Sinas Gleichnissen wieder – auch wenn ich die indischen Superhelden nicht so gut kenne.
»Dein Leben ist das Produkt deiner Gedanken« hat Sina mir vergangene Stunde gesagt, und ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Sie hat recht: Es ist ein einziges Chaos. Aber seit ich Yoga mache, wird es besser. Manchmal schwebe ich regelrecht aus der Stunde. Sina meint, ich würde sehr gut auf die Asanas reagieren. Nur mit dem »Om« kann ich mich einfach nicht anfreunden. Deshalb bewege ich halt die Lippen ohne Ton, wie damals im Schulchor.
Vorhin hat mir Sina erzählt, dass sich der legendäre Studiobesitzer wieder von seiner Lungenentzündung erholt hat – dank der Pranayama-Atmung. Er wird diese Stunde leiten. Vor Aufregung hat ihre Stimme gezittert. Auch ich bin schon ganz gespannt. Zwar muss Sina heute nur assistieren, aber Hari, so heißt der Studiobesitzer, muss noch offiziell zustimmen, dass ich ihr Prüfungspartner werde.
Der Yogaraum ist heute so voll wie schon lange nicht mehr, doch Jessica hat mir eine Matte hingelegt. Der Mittwochabend ist zu unserem festen Yogadate geworden. Mehr war bisher nicht drin. Aber seit einiger Zeit sehe ich das ganz gelassen. Wahrscheinlich macht Yoga am Ende impotent. Wäre mir aber auch egal.
Sina zitiert seit Tagen Haris weise Sprüche, schwärmt davon, wie leicht er in den Handstand springt, hunderte von Rückbeugen macht und immer noch mit fester Stimme unterrichten kann. Dabei leuchten ihre Augen. Armer Error.
Die Tür öffnet sich, und sofort kehrt Ruhe ein. Eine freundliche Stimme wünscht allen Teilnehmern einen guten Abend. Hari ist offenbar kurz bei Sina stehen geblieben, die ihre Matte heute nicht vorn, sondern an einer Säule am Rand des Raumes platziert hat. Irgendwie kommt mir diese freundliche Stimme bekannt vor. Als Hari zum Podest schreitet, kann ich nur seinen Rücken sehen. Sina geht an seiner Seite. Der Oberyogi trägt weder Dreadlocks, noch ist er sonderlich groß, geschweige denn muskulös. Seine roten Haare sind stoppelig kurz geschnitten. Er lächelt offen und blickt durch seine John-Lennon-Brille in den Saal.
Das darf doch nicht wahr sein! Meine eben noch vorbildlich aufrechte Körperhaltung sackt in sich zusammen, der Brustkorb fällt ein, als wäre die Luft raus. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen oder mich unter den Kissen verstecken: Hari ist der verirrte Bildungsreisende, den ich nach meinem ersten Arbeitstag aus Errors Mercedes geworfen habe.
»Tut mir leid, dass ich so lange weg war«, sagt er und sieht sich um. Wenn Sina mitkriegt, was ich ihrem Oberyogi angetan habe, kann ich mein neues Hobby vergessen. Und mit Error und Sina wird das nie was. Ich beschließe, spontan eine Vorwärtsbeuge zu machen: mit der Nase so weit wie möglich hinunter auf die Knie – oder zumindest so weit, dass Hari mich nicht sieht. Unten angekommen blinzle ich vorsichtig nach oben. Das
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