Heldenstellung
einzig Logische für ihn wäre, mich rauswerfen zu lassen – genauso, wie ich es vor einem Monat mit ihm gemacht habe.
»Eine Menge neuer Gesichter hier«, sagt Hari zufrieden und nickt Sina anerkennend zu. Er nimmt sich die Zeit, in jedes einzelne zu schauen. »Alles, was man mit Liebe betrachtet, ist schön.«
Als sich unsere Blicke treffen, erstarrt sein Lächeln kurz. »Na ja, fast alles«, ergänzt er mit freundlichem Lächeln.
Die Stunde beginnt für die anderen mit dem üblichen Om und für mich mit dem üblichen Playback.
»Wie ist es euch ergangen, meine Lieben?«, sagt er. Sina sieht mich auffordernd an, da meine Probleme thematisch einen Großteil der vergangenen Yoga-Talks bestimmt haben.
»Gut«, sage ich leise und ducke mich hinter den Typen, der vor mir sitzt. Eine etwas fülligere Frau, deren herzliches Lachen mir schon ein paar mal aufgefallen ist, räuspert sich. Ich glaube, sie heißt Zoe. Hat mir Error erzählt, der gelegentlich mit ihr Partnerübungen macht, weil man dafür immer Leute mit einer ähnlichen Statur sucht.
»Ich habe in letzter Zeit oft schlechte Laune«, sagt sie. »Liegt wahrscheinlich am herbstlichen Wetter.«
Hari schließt kurz die Augen. Man kann die Erwartung im Raum förmlich fühlen. »Damit wir unsere Schale leeren und mit Glück füllen können, müssen wir die Tür, die nach innen führt, weit öffnen. Aber das allein genügt nicht. Wenn das Glück durch die Tür zu uns gekommen ist, dann sind wir dafür verantwortlich wie für ein Kind oder einen Taxifahrgast.« Mir wird etwas flau im Magen. Aber Hari sieht nicht zu mir herüber, sondern sitzt einfach weiter mit geschlossenen Augen im Schneidersitz auf seinem kleinen Podest.
»Wir müssen dieses Glück hegen und pflegen, indem wir gut zu uns sind. Sind wir das nicht, dann werfen wir es aus unserem Herzen in den herbstlichen Regen. Was bleibt, ist Leere.«
Zoe nickt dankbar, und schon kehrt ein Lächeln auf ihr Gesicht zurück. Auch ich fand Haris Worte sehr schön, bin diesmal aber leider etwas voreingenommen.
Wir beginnen die Stunde mit ein paar Sonnengrüßen »zum Warmwerden«, sagt Hari.
»Denn gerade wenn wir nachts noch draußen unterwegs sind, können wir uns schnell erkälten.« Ein paar Teilnehmer lachen leise, als wüssten sie von dem Rauswurf. Mir ist schon ganz warm – aus Scham.
Jetzt üben wir jede Haltung im Fluss: gerade stehen, vorbeugen, die Hände auf den Boden, nach hinten springen in den Hund, dann die Bretthaltung, die Kobra und so weiter. Deutlich dynamischer als bei Sina. Die beiden gehen umher und korrigieren die Teilnehmer.
Als ich gerade im Hund stehe, höre ich Haris Stimme neben mir: »Ist das nicht schön, dass wir uns hier wiedertreffen?«
»Ja – und wie«, sage ich leise.
Am liebsten würde ich spontan eine neue Yoga-Stellung erfinden: den Hund in der Demutshaltung: auf den Rücken legen und alle Viere von sich strecken. Aber bevor ich dazu komme, zieht mich Hari an der Hüfte so stark nach hinten, dass ich das Gefühl habe, mir reißen die Sehnen am Hintern.
»Geht es so mit der Dehnung?«
»Nein«, sage ich. Hari zieht trotzdem noch ein bisschen mehr. Fühlt sich an wie auf der Streckbank. Dass Yoga so schmerzhaft sein kann, hätte ich nie gedacht. »Tut mir leid, was passiert ist«, flüstere ich. »Sie können mich doch einfach rauswerfen lassen. Ich habe Sie auch nicht vorher gefoltert.«
»Ich verzeihe dir«, sagt er. »Denn nur Vergebung kann uns heilen. Vergiss alles andere. Konzentrier dich nur auf die Haltung.«
Würde ich ja gern, aber irgendwie traue ich dem Frieden nicht. Hari geht weiter zu Jessica. Sie stöhnt kurz auf, als er sie nach hinten zieht.
Die ganze Stunde über hat er es auf mich abgesehen. Immer, wenn eine besonders schwierige Yogahaltung gezeigt werden soll, nimmt er mich als Vorführmodell. So verliere ich vor dem versammelten Kurs nach dem Gleichgewicht auch den letzten Rest meiner Würde.
»Da fällt mir ein«, sagt Hari zu Sina, als er mal wieder auf der Suche nach einem Modell durch den Raum blickt, »du wolltest mir ja heute den Partner für deine Prüfung vorstellen. Also, wer ist der Glückliche?«
Error sieht mich mitleidig an.
Jessica grinst schadenfroh.
Zögernd hebe ich die Hand. Diesmal verschwindet das stoische Lächeln aus Haris Gesicht. Er schüttelt den Kopf und deutet anklagend mit dem Finger auf mich.
»Sina, das ist der Taxifahrer, der mich aus dem Auto geworfen hat.«
Die Angesprochene schaut kurz zu
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