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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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in ihrem Köcher und fragte: »Aber ist all das, was du da berichtest, nicht viele Sommer her? Kann es dann nicht sein, dass wir nur einen Toten suchen?«
    »Sei unbesorgt«, wiegelte Dalarr die Bedenken der Elfentochter ab. »Zwerge werden alt. Fast so alt wie das Gestein, das ihr Zuhause ist. Und wenn Eisarn tot wäre, wäre der Herzfinder zersprungen und stumm. Ich mache mir eher Sorgen darum, ob er noch beide Hände hat, falls sich diese dicke Tonne das Stehlen wirklich zur Gewohnheit hat werden lassen.«
    »Aber was ist an Eisarn überhaupt so wichtig?«, hakte Ammorna nach. »Suchen wir nur nach einem alten Freund von dir? Ist dir nach einem schönen Wiedersehen zumute? So einem, wie wir es bei den Elfen erleben durften?«
    Abgesehen von einem scharfen Blick ging Dalarr nicht weiter auf die Spitze ein, die die Kroka-Dienerin zu setzen versucht hatte. »Falls Arvid so feige sein sollte, dass er sein ganzes Heer gegen uns wendet, dann setzen wir die Ketten der Ewigkeit ein, um unser eigenes Heer auszuheben. Und ohne Eisarn kommen wir nicht an die Ketten. Wir haben es damals so eingerichtet, dass wir sie nur gemeinsam wieder ans Tageslicht holen können.«
    Das will er also? In Namakan zog sich alles zusammen. Er glaubte, das Donnern von Hufen zu hören, und vor seinem inneren Auge zog eine Herde toter Pferde vorüber. »Ist das nicht viel zu gefährlich, Meister?«
    »Ich bilde mir ein, dass ich heute schlauer bin als früher«, sagte Dalarr ernst. »Ich habe mich noch nie zweimal an derselben Fackel verbrannt.«

23
    Das Leben ist wie das Moosbeerenpflücken.
    Man beginnt es nass und mit viel Geschrei, und man beendet es mit einem krummen Rücken.
    Weisheit der Swemmanger Bauern
    So wussten alle Wanderer nun, wen sie suchten. Der Herzfinder gab ihnen die Richtung vor, in die sie ihre Schritte zu wenden hatten. Was das zwergische Zauberwerk ihnen jedoch nicht verriet, war, wie oft sie noch die Füße heben mussten, bis sie ans Ziel ihrer Reise gelangt waren.
    Viele Tage zog sich ihre Suche hin. Zu Beginn führte sie sie durch einen Ausläufer des Schwarzen Hains, den der nahende Winter noch nicht in seinen kalten Griff genommen hatte. Womöglich lag die Veränderung, die sich nach und nach in Namakans Gemüt vollzog, daran, dass die bittere Kälte wich und er statt harschem Schnee nun einen weichen Nadelteppich unter den Sohlen seiner Stiefel spürte. Vielleicht fand sie ihren Grund auch in jenem festen Ablauf, dem ihre Tage folgten: Sobald die Dämmerung einsetzte und der Fluch, der auf Kjell lastete, in seiner Wirkung nachließ, wickelten sich die Wanderer aus ihren Decken, bauten ihr Lager ab und marschierten los. Alle tausend Schritte sah sich Dalarr nach einem Stein um, mit dem er den Herzfinder zum Klingen bringen konnte, und nachdem ihnen so der Weg gewiesen worden war, marschierten sie wieder. Wenn die Sonne am höchsten stand, legten sie eine Rast ein. Daran schloss sich erneutes Marschieren an, bis der Abend anbrach und Kjells Unruhe wuchs. Dann wählte Dalarr einen günstigen Platz aus, um die Nacht zu verbringen. Er ging mit Tschumilal und Morritbi auf die Jagd, während es Namakans Aufgabe war, in der Umgebung nach Feuerholz und Essbarem zu suchen. Darin, womit sie ihre knurrenden Mägen füllten, bestand die einzige Abwechslung auf ihrer Reise: Mal waren es schwammige Pilze und dürre Wachteln, mal harte Nüsse und das Fleisch eines fetten Baumnagers, mal halb vertrocknete Beeren und ein paar aus dem Nest gefallene Eier.
    Schließlich ließen sie den Wald hinter sich und gelangten in eine Landschaft, die den Anschein erweckte, als sei eine grüne Decke aus saftigem Gras über verstreut liegende, felsige Hügel geworfen worden. Am weiten Himmel schwebten feine Wolken wie gerupfte Daunen, und die Sonne besaß noch genügend Kraft, um hier und da rote und blaue Blüten am Leben zu erhalten. Kleine Herden von wilden Schafen und Ziegen ergriffen blökend und meckernd schon von weitem die Flucht, wenn sie die Wanderer am Horizont herannahen sahen. Erst dort bemerkte Namakan, was so schleichend in ihm vorging.
    Ich finde mich damit ab. Es tut nicht mehr so weh, wenn ich an sie denke. Vorher war es, als würden mir brennende Finger jede Faser meines Herzens zerpflücken. Und jetzt … jetzt brennen die Finger nicht mehr. Sie sind kalt. Die Wunden der Trauer, über denen sich in seinem wachen Verstand langsam Schorf bildete, bluteten nachts allerdings noch immer. In seinen Träumen erhielt Namakan Besuch von

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