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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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allen Seiten weg, während Dalarr jeden Spornstoß mit einem »Besser?« unterlegte. Als er fertig war, hatte die Statue ihre Nase eingebüßt und es klafften Krater auf ihren Wangen.
    »Und jetzt?«, höhnte Dalarr, ein wildes Funkeln in den Augen. Er stieg von dem Podest herab und fegte die Gaben von Arvids Untertanen in den Staub der Straße. »Und jetzt?«
    Namakan senkte den Kopf und ließ zu, dass Morritbi ihn sanft weiterzog, fort von dem beschönigten Bild Arvids, das sein Meister für ihn berichtigt hatte.
    Es blieb nicht das letzte Standbild Arvids, an dem die Wanderer vorübergingen, aber das einzige, vor dem Namakan innehielt.
    Nachdem Tschumilal zehn oder zwölf Steine gesammelt hatte, stießen die Wanderer auf ein neues Anzeichen dafür, dass sie in das Herz des Reichs vordrangen: An jeder dritten, vierten größeren Wegkreuzung war am Straßenrand ein krude gemauerter Flachbau errichtet, auf dessen Dach das Drachenbanner flatterte. Ammorna erklärte ihnen, dass in diesen kleinen Garnisonen üblicherweise ein Trupp Soldaten untergebracht war, der auf dem umliegenden Straßenabschnitt für Ruhe und Sicherheit sorgen sollte. Nun jedoch waren die Stationen verwaist, die Türen und Fenster mit Bohlen vernagelt.
    Die Erklärung, warum die Posten nicht besetzt waren, lieferte den Wanderern wenig später eine Gruppe Pilger, die sie ein Stück des Weges begleitete – rund ein Dutzend Männer und Frauen jeden Alters, die sich Blumen ins Haar geflochten hatten und barfuß gingen. Sie waren in weite, weiße Gewänder gehüllt, die mit roten Händen bestickt waren: das Zeichen Rovils, des Gottes der Liebe, des Friedens und der Versöhnung.
    Ihr Anführer war ein bärtiger Bekehrter namens Frellis, der, den Narben an seinen Fingern und Händen nach zu urteilen, sein Geld als Soldat oder Mietklinge verdient hatte, bevor er von Rovil auf einen unblutigeren Pfad geführt worden war. Frellis erwies sich als ungemein höflich und redselig.
    »Der König ist unruhig, und wenn der König unruhig ist, sind alle unruhig«, berichtete er von der Lage im Reich. »Er hat einen Großteil der Armee zusammengezogen. Im Osten. Er will nicht den gleichen Fehler begehen, der seinem Vorgänger unterlaufen ist. Der Schlohbart hat die Barbaren damals unterschätzt. Arvid nicht, und er tut gut daran. Ich ziehe zwar zum Tempel der Sanftmut, um mich zu versenken und für einen friedlichen Winter zu beten, aber ich bin kein Narr. Die Söhne des Fetten Hengstes scharren mit den Hufen, und wenn es hart auf hart kommt, wird es mehr als Gebete brauchen, um sie an die Kandare zu nehmen. Ich habe gehört, dass sie schon erste Späher entsendet haben, die über schmalere Pässe als den bei Kluvitfrost die Drachenschuppen überwunden haben. Ohne ihre Gäule, was heißt, dass es die Barbaren diesmal wirklich ernst meinen. Sie sind in einige der Dörfer am Fuß der Berge eingefallen und haben Klöster und Höfe in Brand gesteckt. Und mit jeder Haut, die sie einem armen Mönch abziehen, werden sie dreister. Wie gesagt, ich bete für den Frieden, aber mein Herz wappnet sich für den Krieg.«
    Danach vertiefte sich Frellis in ein langes Gespräch mit Ammorna, das sich in erster Linie darum drehte, ob die Kroka-Dienerin irgendwelche zuverlässigen Omen gesehen hatte, die auf den Ausgang der angespannten Lage hindeuteten.
    Namakan hörte nur mit halbem Ohr hin, da ihm die beiden zu viele Demutsformeln und andere hohle Sätze austauschten, doch eine Bemerkung Ammornas sollte er dennoch nie mehr vergessen: »Die meisten Könige sterben im Winter, denn dann sind die Throne besonders kalt.«
    Als die sanften Hügel schleichend, aber stetig in flache Auen übergingen, wurde der Klang des Herzfinders nach und nach lauter, und Dalarr musste den anderen Wanderern nicht erklären, was es damit auf sich hatte: Die Entfernung zu ihrem Ziel schrumpfte, womit sich Namakans Meister sehr zufrieden zeigte.
    »Ich hatte schon befürchtet, er könnte als Streuner durch die Gegend ziehen und wir würden ihm noch Wochen hinterherhecheln wie Rüden hinter einer läufigen Hündin.« Er freute sich sichtlich. »Es sieht ganz danach aus, als hätte er sich fest an einem Ort niedergelassen, und ich wette, dass es ein Ort ist, an dem man sich jeden Abend ordentlich besaufen kann.«
    Nur einen Tag nach dieser Feststellung erreichten die Wanderer das Ufer des Silvrets. Namakan hatte erwartet, der Strom würde als breites, silbriges Band den feuchten, fruchtbaren Boden zerteilen.

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