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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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geschweige denn, dass die Gottkönigin des Spinnenvolks tatsächlich auf Dalarrs dreiste Forderung eingegangen war. »Gib mir dieses Mädchen mit, und wir sind quitt«, hatte er gesagt und dabei auf die Rothaarige gedeutet, als würde er auf einem Ponymarkt Interesse an einem besonders vielversprechenden Fohlen zeigen. Kongulwafa hatte es sich nicht nehmen lassen, noch eine Spitze zu setzen, bevor sie eingewilligt hatte. »Suchst du frisches Fleisch?«, hatte sie keckernd geschabt. »Ersatz für die Einäugige?« Dalarrs einzige Antwort war ein langer, düsterer Blick gewesen.
    Die Vorstellung, die Rothaarige könnte Lodaja ersetzen, war für Namakan vollkommen abwegig. Sie ist viel zu jung für den Meister. Außerdem stehen ihre Ohren ab und ihre Nase ist ein ganzes Stück zu groß für ihr Gesicht. Und selbst wenn sie jemals das Gift der Pilze aus ihrem Leib schwitzen sollte, ist sie dem Meister sicher viel zu dürr. Sie muss doch immerzu frieren wie nichts Gutes. Namakan betrachtete die merkwürdige lebende Beute aus dem Spinnenbau. Die Frau trug ein einfaches Kleid, das ihr wie ein Sack bis zu den bloßen Knöcheln hing und das sie ganz offenkundig selbst aus Fetzen von Leder und Pelz zusammengenäht hatte. Sie hatte etwas von einer kranken Katze, der das Fell ausging. Um die kantigen Hüften war lose ein geflochtener Gürtel geschlungen, an den ungefähr ein Dutzend Beutelchen und Säckchen gebunden waren. Namakan war noch unschlüssig, ob der strenge Geruch, der von der Frau ausging, etwas mit dem Inhalt der Säckchen zu tun hatte oder ob er nicht doch davon herrührte, dass sie zu lange eingesponnen gewesen war. Wenn die Spinnen ihr oben etwas hineingestopft haben, muss es ja auch unten wieder herausgekommen sein. Trotz ihres dürren Wuchses erweckte die Frau nicht den Anschein, als würde sie die Kälte stören. Sie trippelte nicht einmal auf der Stelle, wie Namakan es getan hatte. Sie stand einfach nur stocksteif da, und Namakan stellte fest, dass der Schnee unmittelbar um ihre nackten Füße herum geschmolzen war. Unter ihren Sohlen hatte sich bereits Matsch gebildet, der von braunen Tannennadeln durchsetzt war.
    »Sie wird sich den Tod holen«, sagte Namakan.
    Dalarr brummte etwas in seiner kehligen Heimatsprache, das nicht unbedingt freundlich klang, zückte Swiputir und verarbeitete auch den Rest seines Umhangs in lange Streifen. »Da hast du Fußlappen für sie, Drengir«, verkündete er, als er damit fertig war.
    Namakan nahm das neue Knäuel dankbar entgegen und hielt es der Rothaarigen vors Gesicht. »Da. Für dich.«
    Die Frau blickte weiter in eine unergründliche Ferne.
    »Setz dich hin, dann binde ich sie dir um«, bot Namakan an und zupfte an ihrem Ärmel. Er hätte genauso gut mit einem der Baumstümpfe reden können.
    »Sie hört dich nicht.« Dalarr fasste die Frau mit dem einen Arm um die Schultern, mit dem anderen um die Knie und zwang sie mit sanftem Druck in den Schnee. »So.«
    Behutsam säuberte Namakan ihr mit dem Saum seines Umhangs die Sohlen von Matsch und Nadeln, ehe er sich daranmachte, die Wollstreifen um die Füße der Rothaarigen zu wickeln. Ihre Haut ist heiß wie Glut. Ob sie Fieber hat? »Warum haben wir eigentlich ausgerechnet sie mitgenommen? Von all den Leuten, die in Kongulwafas Halle gefangen waren, warum ausgerechnet sie?«
    »Weil es richtig war.« Dalarr setzte seinen Rucksack auf. »Sie hat von Prinzen und Königen gesprochen. Ein gutes Omen. Immerhin haben wir vor, die Welt um einen König zu erleichtern. Oder hast du Angst, dass sie uns zu sehr aufhalten könnte?«
    »Nein. Aber …« Daran hatte Namakan tatsächlich noch nicht gedacht. »Meinst du, dass sie für immer so bleiben wird?«
    »Das wollen wir mal nicht hoffen.« Er legte beide Hände auf die Knäufe seiner Schwerter. »Ich gebe ihr ein, zwei Tage, und wenn ihr Geist sich bis dahin nicht erholt hat …«
    Namakan fuhr zusammen, und der feuchte Fuß der Frau glitt zwischen seinen Fingern hindurch. »Du würdest sie erst retten und dann töten, Meister?«
    »Was wäre ihr Leben noch wert, falls sie das Gift nicht abschütteln kann? Glaubst du, sie würde wollen, so geistlos wie ein Opfer der Plage durch die Gegend zu wandeln? Ich denke nicht.«
    »Der weise Prinz kennt sein Volk, obwohl ihn sein Volk nicht kennt.« Die Worte der Frau stiegen gemeinsam mit ihrem Atem in den Himmel auf, jede Silbe flüchtiger als der weiße Nebel von ihren Lippen. »Der weise Prinz weiß, wann er Held und wann er Mörder

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