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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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ansteigenden Einöde machte Namakan eine flache Linie aus verwaschenem Grau aus. Er schätzte, dass es mindestens ein halber Tagesmarsch bis zum Rand dieses Waldes war. Er schaute an sich herunter, auf seine nackten Füße. Einen halben Tag durch Eis und Schnee stapfen. Falls wir überhaupt in den Wald wollen … Mir werden die Zehen abfrieren. Es war beileibe nicht so, dass Namakan noch nie Schnee gesehen hätte. Aber in den Bergen hatten Dalarr und er die Gletscher an den Hängen stets gemieden, und wenn einmal ein Sturm Schnee bis hinunter in die Almen getrieben hatte, war er immer vom einen auf den anderen Tag wieder getaut. Der Schnee hier sieht aus, als läge er schon sehr lange. Und er wird bestimmt nicht schmelzen, nur weil mir das lieber wäre. Seine Sohlen waren dick, doch schon jetzt, nach wenigen Augenblicken und vielleicht einhundert Schritten, spürte er, wie der Schnee ihm die Wärme aus den Füßen saugte.
    Hilfesuchend sah er hoch zu Dalarr. Der große Mensch hatte die Lippen zusammengekniffen und ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Dann schüttelte er den Kopf und drehte sich zu der Stelle um, wo eben noch der Ausgang des Tunnels gewesen war, an dem die Spinnen sie abgesetzt hatten. Womöglich hätte man aus der Nähe den Rand der Klappe erkennen können, hinter der der Zugang in das unterirdische Reich verborgen lag. Nun, wo sich die Spinnen wieder zurückgezogen und die Klappe hinter sich geschlossen hatten, deuteten nur die Fußstapfen ihrer entlassenen Gäste darauf hin, dass der verschneite Hang ein Geheimnis barg. Dalarr schaute zurück zum Horizont. »Pack mich einer am Sack! Der Schwarze Hain ist auch nicht mehr das, was er einmal war«, knurrte er wie ein verärgerter Trunkenbold, dessen liebste Kaschemme überraschend in einen Schrein für das Untrennbare Paar umgebaut worden war. Er seufzte schwer und drehte sich zu Namakan um, der unsicher auf der Stelle trat, um immer nur einen Fuß im kalten Schnee zu haben.
    Dalarr verzog verächtlich den Mund. »Ich habe nie verstanden, warum ihr kleinen Leute euch so beharrlich gegen eine nützliche Erfindung wie Schuhe wehren musstet.«
    »Es fühlt sich besser an, barfuß zu gehen.« Namakans Einwand hätte gewiss überzeugender geklungen, wenn er nicht mit leicht bibbernder Stimme vorgetragen worden wäre. Unter Umständen lag seine mangelnde Überzeugungskraft auch darin, dass es ein Argument war, das Namakan nur von seinen Geschwistern übernommen hatte. Er selbst hatte als Kind manchmal heimlich die Stiefel des Meisters angezogen, um darin durch das nächtliche Haus zu stromern, als sei es etwas Verbotenes.
    Dalarr wand sich aus den Schlaufen seines Rucksacks und streifte den Halblingsumhang ab. Staunend sah Namakan zu, wie der Meister sein Kurzschwert zog und begann, die Wolle in lange Streifen zu schneiden. Als er so viel von seinem Umhang abgetrennt hatte, dass er ihm nun nicht mehr bis zu den Knien, sondern höchstens noch bis über die Hüften gereicht hätte, hob er die heruntergefallenen Streifen in einem Knäuel auf und warf sie Namakan zu. »Hier. Wickel dir die um die Füße.«
    Namakan hockte sich in den Schnee und tat, wie ihm geheißen. Nachdem er seinen einen Fuß ordentlich in den rauen Stoff verpackt hatte, wackelte er probeweise mit den Zehen, um zu überprüfen, ob er die Bänder auch nicht zu fest gewickelt hatte. Nicht schlecht. Gar nicht schlecht. Er griff zum ersten Streifen für seinen anderen Fuß und hielt inne. »Wirst du in deinem kurzen Umhang nicht frieren, Meister?«
    »Ich habe schon schlimmer gefroren«, wiegelte Dalarr ab und steckte Swiputir zurück in die Scheide.
    Namakan blickte vorsichtig zu ihrer neuen Begleiterin. »Und was ist mit ihr? Sie hat auch keine Schuhe.«
    Dass die rothaarige Frau keine Schuhe trug, war zwar die Wahrheit, aber es war gewiss nicht ihre größte Sorge – sofern sie derzeit überhaupt dazu fähig war, sich um irgendetwas zu sorgen. Ihre Augen waren geweitet und glasig, und wenn Namakan es nicht besser gewusst hätte, wäre er vielleicht davon ausgegangen, dass die zwei starren Murmeln nur ein Ausdruck ihres eigenen Erstaunens über die wundersame Rettung waren. Die fassungslose Entrücktheit der Frau hatte indes einen völlig anderen Grund: Sie stand ohne jeden Zweifel noch immer unter der Wirkung der Pilze, mit denen die Spinnen sie die ganze Zeit über gefüttert hatten.
    Namakan konnte immer noch nicht glauben, dass sie heil aus Kongulwafas Bau entkommen waren –

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