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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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seine Schreie zu einem gepeinigten Stöhnen.
    »Was weiß er?«, erkundigte sich Kongulwafa.
    »Viele schmackhafte Geheimnisse«, gab Dalarr im Tonfall eines Bauern auf dem Markt zurück, der seine besten Früchte anpries. »Er ist weit gereist. Er weiß, was die Ewigen Reiter der Dornensteppe mit ihren Toten anstellen. Er weiß, wie die Barbaren der Pockenödnis Festungswände zum Einsturz bringen. Er weiß, warum manche Menschen aus der Stadt der Schleier nichts anderes mehr essen wollen als Feigen. Er ist sogar durch die Wispernden Dschungel gereist und hat den Rauch der Schwarzen Sternenblüte geatmet.« Verachtung machte seine Stimme schneidend. »Und von ihm kannst du auch erfahren, wie Arvids Häscher gewütet haben und warum er gewiss alles andere als ein guter König ist.«
    »Der Bruder wird des Bruders Blut schmecken«, kreischte die kleine Frau. »Der Weg muss ein Ende haben.«
    Dalarr sah kurz zu ihr hinauf, und Namakan glaubte eine Regung an seinem Meister zu erkennen, von der er nicht zu sagen wusste, ob es Erstaunen oder Erkennen war. Die Regung war nicht mehr als ein kurzes Aufflackern, der Schatten eines Schattens. Dalarr versetzte Wikowar einen neuerlichen Tritt und wandte sich wieder Kongulwafa zu. »Was sagst du zu meinem Angebot?«
    Kongulwafa kroch noch ein Stück vom Podest herunter, und eine ganze Flanke des Schädelhaufens verwandelte sich in einen klackernden Abgang aus bleichem Gebein. Die Spinne unterzog Wikowar einer eingehenden Prüfung. Die Augen des Händlers drohten ihm aus dem Kopf zu platzen, als Kongulwafas Fangbeine die Ware inspizierten.
    »Er hat Schaden genommen«, bemerkte sie. »Vielleicht hält er sich nicht lange genug, um mir all seine Geheimnisse preiszugeben.«
    »Ratten wie er sind zäh«, hielt Dalarr dagegen. »Und wenn er doch seinen letzten Furz brunst, bevor du ihn ganz ausgesaugt hast, hat er etwas dabei, das dich trösten wird. Er trägt den Stoff an sich, der Träumen Form verleiht und den Willen einfängt.«
    »Skaldat«, schabte Kongulwafa beeindruckt.
    Dalarr nickte. »Mit der Hälfte eines Lichtgeists darin.«
    »Wo ist die andere Hälfte?«, wollte die Spinne wissen.
    Dalarrs Antwort wurde von einem letzten Tritt begleitet. »Das kann er dir sagen.«
    »Schön.« Kongulwafa klackte mit allen drei Scherenpaaren auf einmal. »Schön. Dann bleibt mir wohl nicht mehr, als dir gutes Gelingen bei deiner Rache zu wünschen, Windmacher.« Ein Fangbein winkte über ihre versammelten Untertanen hinweg. »Meine Kinder werden euch sicher nach draußen geleiten.«
    Kaum hatte Kongulwafa diesen Satz geschabt, spürte Namakan den sachten Druck von Beißwerkzeugen um seinen Rumpf.
    Namakans Erleichterung über den Handel drohte zu erlöschen, als er sah, wie Dalarr der Spinne, die sich ihm näherte, mit einem barschen Stoß Einhalt gebot. Die kleine Spinne verharrte unschlüssig und schien zu ihrer Gebieterin aufzusehen. »Wir sind noch nicht fertig«, sagte Dalarr.
    »Was denn noch?«, kratzte Kongulwafa ungehalten.
    »Lass es gut sein, Meister«, flüsterte Namakan.
    Dalarr hörte nicht auf ihn. Stattdessen stellte er eine höchst unverschämte Forderung. So unverschämt sogar, dass Namakan fest davon überzeugt war, gleich von Beißscheren in zwei Hälften zerteilt auf dem Boden zu landen. Hilflos spannte er den Bauch an und wartete auf sein Ende.

11
    Drei volle Monde stellte Smigand der Jäger dem Weißen Hirsch nach. Als der Herrscher des Hains dann zu Smigands Füßen lag, durchbohrt von Dutzenden Pfeilen, ließ der Jäger seiner Gier und seiner Leidenschaft freien Lauf.
    Er schlug die Warnungen der Alten in den Wind und brach den Leib seiner Beute auf. Doch was aus dem Leib des Weißen Hirschen quoll, war nicht warm und weich. Es war kalt und starr, und es begrub alles unter sich: Smigand, die Bäume des Hains, selbst die Spitzen der Berge. So kam der Winter in die Welt, die bis dahin nichts als ewigen Frieden gekannt hatte, und deshalb wählt kein Vater mehr Smigand als Namen für seinen Sohn.
    Aus einer Legende der Bewohner des Schwarzen Hains
    Weiß.
    Weiß und kalt.
    Das waren die ersten Eindrücke von der Welt jenseits der Narbe, die Namakan hatte. Wohin er den Blick auch wandte, war das Land von einer dicken Schicht Schnee bedeckt, die jeden Laut erstickte und jeden Gedanken an gedeihendes Grün vergessen machte. Nur vereinzelt ragten Baumstümpfe wie gedrungene schwarze Säulen aus dem eisigen Leichentuch hervor. Ganz am Horizont der nach Norden hin

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