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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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tatsächlich den Kopf einziehen, um ihn sich nicht am Türrahmen zu stoßen. Er machte zwei Schritte in den Raum hinein und blieb stehen.
    Über der Feuerstelle, an der Morritbi kniete und ihr Ohr dicht an die Flammen hielt, hing ein eiserner Kessel, in dem Namakan bequem ein weiteres Bad hätte nehmen können. An allen Wänden rings um die Feuerstelle herum waren Borde angebracht, auf denen Hunderte, wenn nicht gar Tausende Gegenstände in allen Formen und Größen aufgereiht waren. Namakan sah Tiegel und Töpfe, gehörnte Schädel, funkelnde Gesteinsbrocken, vertrocknete Kröten, leere und volle Säckchen und Beutel, offene und geschlossene Kisten und Kästchen, Lumpenpuppen, geschnitzte Figürchen von Menschen und Tieren, ausgebreitete und gefaltete Decken und Tücher, einen gesprungenen Spiegel …
    »Gefällt es dir?«, erkundigte sich Morritbi, nachdem ihr das Feuer anscheinend nichts mehr zu sagen hatte.
    Namakan nickte, mehr aus Angst davor, die Wahrheit einzugestehen, als aus der Höflichkeit eines Gastes heraus. Wenn sie hier großgeworden ist, wundert es mich nicht, dass sie den Verstand verloren hat.
    Hinter ihm schob sich Dalarr durch die Tür. Der große Mensch schaute sich um und legte dabei Rucksack und Umhang ab. »Hübsch gemütlich hast du’s hier.«
    Gemütlich? Hier herrscht doch das reinste Chaos! Namakan suchte nach einer Sitzgelegenheit und erspähte ein Lederkissen, das einigermaßen weit genug von den unheimlicheren Schaustücken aus Morritbis Sammlung entfernt war. Er entledigte sich seines Gepäcks und ließ sich auf dem Kissen nieder. »Bleiben wir lange hier?« Bitte nicht!
    Dalarr stapfte gebückt durch den Raum zu einer Bettstatt, auf der eine Armee von Lumpenpuppen saß. Er räumte sie mit einer Bewegung seiner Arme, als würde er durch zähe Molasse schwimmen, etwas beiseite und streckte sich auf der weichen Unterlage aus. »Nur für heute Nacht.«
    Namakan brauchte eine Weile, um sich mit dem Gedanken abzufinden, die Nacht im Haus der Hexe zu verbringen. Dass Morritbi darauf bestand, ihnen in einem kleineren Kessel ein Mahl zuzubereiten – einen Brei aus Tannensamen, allerlei Kräutern und Trockenbeeren, in den sie die Reste des Schinkens aus der Holzfällerhütte schnitt –, war keine Hilfe dabei.
    Seine Sorge, vergiftet zu werden, schien jedoch töricht. Nicht nur war der Brei recht schmackhaft, sondern auch Morritbi löffelte eine ordentliche Portion in sich hinein. Mit angenehm vollem Magen reckte Namakan die Füße in Richtung des Feuers und ließ noch einmal den Blick über die Wände schweifen. »Weshalb genau mussten wir denn nun eigentlich diesen Umweg machen?«
    Dalarr, der im Liegen gegessen hatte, deutete mit seinem Löffel auf ein Kistchen auf einem der Borde unmittelbar über der Bettstatt, das mit roten Holzperlen verziert war. »Deshalb, nehme ich an.«
    »Richtig.« Morritbi stand auf und nahm das Kistchen an sich. »Woher weißt du das?«
    »Weil du vorhin ständig hier rübergeschielt hast«, meinte Dalarr. »Ich fühlte mich schon fast geschmeichelt, bis mir klar wurde, dass du nicht meinen alten Prachtleib bewunderst.«
    Morritbi lächelte verschämt und löste eines der vielen Beutelchen von ihrem Gürtel. Es war mit Perlen der gleichen Machart bestickt, wie sie auch auf dem Kistchen zu finden waren. »Ich bin sicher, dass früher viele Mädchen deinen Leib bewundert haben.«
    »Ich konnte mich nicht beklagen.«
    Morritbi öffnete das Kistchen. Das Feuer flackerte heftig auf, und Namakan zog erschrocken die Beine an.
    Dalarr richtete sich halb auf, um einen Blick auf den Inhalt des Kästchens zu erhaschen. »Hab ich’s mir doch gedacht.«
    »Was, Meister?«
    »Rotes Skaldat.«
    Mit zusammengekniffenen Lippen, zwischen denen ihre Zungenspitze glänzte, beförderte Morritbi das zu feinem Pulver zerstoßene Blutskaldat Fingerspitze für Fingerspitze aus dem Kistchen in das Beutelchen.
    Namakan musterte sie fasziniert. Sie geht so ehrfürchtig damit um. Viel ehrfürchtiger als der Meister.
    Beim Verschnüren des Beutels sang sie wieder, doch diesmal war es ein anderes Lied, das noch kürzer war als das, das sie über den Wald gesungen hatte.
     
    Rot wie Feuer, rot wie Blut,
    Schatz der alten Götterbrut,
    in dem die Macht des Todes ruht.
    Sie schaute auf und Namakan in die Augen. »Willst du nicht fragen, ob meine Mutter mich dieses Lied gelehrt hat?«
    Namakan kratzte sich verlegen am Ohr.
    »Das hat sie nämlich«, zischte Morritbi. »Bevor sie umgebracht

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