Heldenwinter
Singen wild umherwirbelnden Arme; ihre glasigen Augen, als sie in der Halle der Spinnenkönigin hing. »Sag mal«, keuchte er fast. »Wenn du auf Rache aus warst, wie bist du dann beim Spinnenvolk gelandet?«
»Das Feuer hat mich dorthin geschickt.« Sie wandte ihm den Kopf zu und beugte sich so nah zu ihm herab, dass ihr Atem durch die ersten Andeutungen eines Barts auf seinen Wangen strich. »Geh zur Spinne. Das hat es gesagt. Dort ist das Gift, das dem Krieger in Weiß und seinem ruchlosen König ein schreckliches Ende bereiten wird. Ich dachte, das Feuer meinte das Gift der Spinne. Ich habe mich geirrt. Du bist das Gift. Du und dein Meister.« Nun schob sich ihre Hand tatsächlich in seinen Schritt und drückte sanft und fordernd zugleich gegen das, was sich dort so bereitwillig emporgerichtet hatte. »Bist du einsam, Namakan?«
15
Behagar, der Gefallene Axtschwinger, dessen Bart die Bäume sind, schläft keinen ruhigen Schlaf. Er träumt Träume von blutiger Vergeltung an seinen Brüdern und Schwestern, die ihn in die Erde gezwungen haben.
Doch die Träume der Götter sind mächtiger als die der Sterblichen, und so verhält es sich auch mit Behagars Rachegelüsten. Sie steigen auf und gewinnen im Mondlicht Gestalt – auf lautlosen Schwingen gleiten sie wie Schatten durch die Nacht und reißen all jene mit ihren Klauen in Stücke, die töricht genug sind, sich zu weit vom Feuerschein ins Dunkel zu wagen.
Aus einer Legende der Bewohner des Schwarzen Hains
Namakan fuhr von der Bettstatt und aus den Armen eines erschöpften Schlafs hoch. Was war das? Sein Herz wummerte in seiner Brust, und sein Atem ging schnell und heftig wie ein Blasebalg, der die brennenden Kohlen in einer Esse anfachte. Habe ich es nur geträumt?
Da war es wieder – ein schrilles Pfeifen, das ihm das Mark in den Knochen erschütterte. Stürmte es? War das nur ein brausender Wind, der sich durch eine Ritze in den Wänden des Hauses zwängte?
Namakan riss die Augen auf. Ein weiterer, kurzer Schrecken bemächtigte sich seiner, als sich der ausgestreckte Leib neben ihm regte und nackte Haut warm über seine Beine strich. »Was hast du?«, murmelte Morritbi.
Das Pfeifen erklang ein drittes Mal, und nun erkannte Namakan, dass auf der anderen Seite des Raumes eine finstere Gestalt in lauernder Stellung aufragte. »Meister?«, flüsterte Namakan.
»Still jetzt«, zischte Dalarr. »Du hast heute Nacht schon genug Lärm gemacht.«
Er hat uns gehört! Namakan spürte seine Wangen vor Scham brennen. Am Ende hat er gar nicht geschlafen! Er blieb reglos sitzen und beobachtete den lauschenden Schemen, bis das schrille Pfeifen sich erneut wiederholte. »Was ist das?«
»Die Klauenschatten.« Morritbi griff über ihn hinweg, um auf dem Boden nach ihrem Kleid zu angeln, aus dem sie vorhin so geschmeidig geschlüpft war.
»Sie sind hungrig.« Dalarr machte einen Schritt auf die Tür zu, und ein leises Klirren verriet Namakan, dass sein Meister schon eine Weile länger wach sein musste – lange genug, um seine Rüstung anzulegen. »Und sie sind auf der Jagd.«
»Hier? Vor dem Haus?« Namakan rutschte ein Stück zur Seite, damit Morritbi sich ihr Kleid überstreifen konnte. Eine beklemmende Ahnung erwuchs in ihm. »Wollen sie hier rein? Haben sie es auf uns abgesehen?«
»Sie müssen weiter weg sein.« Ungeachtet dessen glomm nun auf einmal Swiputirs Klinge vom Widerschein der Glut in der Feuerstelle. »Ihre Rufe sind zu leise, als dass sie über uns in den Wipfeln hängen würden.«
Zu leise? Sie waren laut genug, um uns alle aus dem Schlaf zu reißen … Gebannt schaute Namakan zu, wie Dalarr zur Tür ging, sich neben ihr gegen die Wand presste und den Riegel mit der Schwertspitze aufschob, um die Tür anschließend durch einen Knaufhieb aufzustoßen.
Kälte wehte herein, umso beißender nach der süßen Wärme, die Namakan in Morritbis Schoß gekostet hatte. Die Kälte war nicht das Einzige, was seinen Weg ins Innere des Hauses fand. Nach zwei rasch aufeinanderfolgenden Pfiffen vernahm Namakan weitere Laute: trotzige Schreie, die wegen der Entfernung an das wilde Zetern eines zornigen Däumlings erinnerten. In sie mischte sich immer wieder ein ähnlich leises, aber nicht minder panisches Wiehern.
Morritbi erhob sich von der Bettstatt, hielt sich mit einer Hand das lange Haar im Nacken zusammen und beugte sich über die Glut in der Feuerstätte.
»Zieh dich an!«, blaffte Dalarr von der Tür aus.
»Wieso?«, fragte Namakan zögerlich.
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