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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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schweres Bündel über die brennende Wand des Wagens, das mit einem metallischen Klirren im Dreck landete. Dem Bündel folgte ein Vogelzwinger wie der, in dem manche Händler Singvögel auf den Markt feilboten. Dem Wesen, das zwischen den Gitterstäben fahrig hin und her flitzte, fehlten jedoch Schnabel, Schwingen und Federn. Dafür besaß es graues Fell und einen langen Schwanz von der Farbe einer unreifen Himbeere.
    Eine Ratte! Namakan starrte ungläubig auf das Tier, das nun versuchte, die Gitterstäbe hinaufzuklettern, weil sein Käfig stetig tiefer in den Matsch sank. Diese Frau lässt sich wegen einer Ratte verbrennen! Was Morritbis Feuer wohl dazu sagen würde?
    »Ja! Verschwindet!«, rief die Hexe und ballte die Fäuste. »Oder wollt ihr noch mehr?«
    Sie sprach zu den verbliebenen Klauenschatten in den Bäumen. Die Bestien spreizten die Gliedmaßen und stürzten sich von den Wipfeln. Ihr Gleiten führte sie jedoch nicht hinunter zum Wagen. Stattdessen flogen sie in schwindelnder Höhe den Weg entlang und nahmen die Verfolgung des fliehenden Rappen auf. Sie brauchten nicht lange, um ihn einzuholen. Namakan wandte den Blick rechtzeitig ab, doch die Geräusche des erfolgreichen Endes ihrer Jagd – das rasch ersterbende Wiehern des Pferdes, das Fauchen und das Reißen von Haut und Fleisch – blieben ihm nicht erspart.
    Morritbi trat zu ihm heran, und gemeinsam sahen sie zu, wie die Weißhaarige vom Bock des Wagens sprang. Ihre Robe rauchte, und rund um den Saum hatte sie Feuer gefangen. Dalarr lief zu der Frau, und einige gut gezielte Stiefeltritte seinerseits halfen dem Schneematsch dabei, die Flammen rasch zu löschen.
    »Hat man dir ein paar Federn zu viel gerupft, du dummes Huhn?«, blaffte Dalarr.
    Sie ließ ihn stehen, um den Käfig mit der Ratte aufzuheben. »Ganz ruhig, ganz ruhig«, redete sie auf den Nager ein, der sichtlich erfreut war, sie zu sehen: Er machte Männchen und griff mit seinen winzigen Pfoten nach dem Finger, den sie durch die Stäbe steckte. »Sie sind fort.«
    Namakan und Morritbi mussten gerührt lächeln, doch Dalarr fehlte der nötige Sinn, um so viel Possierlichkeit etwas abzugewinnen.
    »Was treibst du irre Vettel mitten in der Nacht im Freien?«, erregte er sich. »Glaubst du, die Leute in Tanngrund spannen ihre Stricke nur zum Vergnügen? Ich sollte dir den Hintern versohlen. Und wo steckt überhaupt diese Bohnenstange, mit der du unterwegs warst?«
    »Geh dich waschen, du Bauer!«, fuhr sie ihn an. »Du stinkst nach Blut und Unrat.«
    »Oho«, höhnte Dalarr verärgert und breitete die Arme aus. »Bin ich dir etwa nicht hübsch genug?« Er zeigte auf den Riss in ihrer Robe. »Dafür, dass du gerade mehr Haut zeigst als so manche Hafenhure, führst du dich schlimmer auf als jede Hofschranze!«
    »Mäßige dich, du Lümmel!« Sie raffte mit ihrer freien Hand den Stoff zusammen, um ihre Blöße notdürftig zu bedecken. »Es ziemt sich nicht, solch ungebührliche Worte im Mund zu führen, wenn Menschen von edlem Geblüt zugegen sind.«
    »Meint sie uns?«, fragte Morritbi lachend.
    Namakan zuckte mit den Achseln .
    »Aha, du bist also von edlem Geblüt, ja?« Die Häme in Dalarrs Worten war nicht zu überhören. »Wer warst du denn, bevor dich dein werter Herr Vater ins Kloster gesteckt hat, hm? Herzogin Zank von Bohnenstroh? Oder bist du schon immer Baronin Alt von Faltenberg gewesen?«
    »Ich spreche nicht von mir, du Trottel«, wies die Frau Dalarr zurecht.
    »Ob sie doch einen von uns beiden meint?« Ehrlicher Unglaube schlich sich in Morritbis Stimme.
    »Ich spreche von ihm«, erklärte die Robenträgerin und hob den Käfig in ihrer Hand vor Dalarrs Gesicht. Die Ratte packte ihren eigenen Schwanz und legte ihn sich über die Schulter, als wäre sie ein König und ihr Schwanz ein purpurner Überwurf. »Du befindest dich in der Gegenwart des ehrenwerten Graf Kjell hus Tamiller.«
    Wie kam ich nur jemals auf die Idee, niemand könnte verrückter sein als Morritbi?, dachte Namakan und wartete darauf, dass Dalarr dieser armen kranken Alten eine schallende Ohrfeige verpasste.

16
    Es hat sich als Mittel der Respektpflege bewährt, Störenfriede nicht sogleich dem Beil des Scharfrichters zu überantworten. Die Achtung vor der herrschenden Ordnung bleibt ebenso gut und womöglich besser gewahrt, gibt man die Zweifler daran auf einfallsreiche Art der Lächerlichkeit preis.
    Aus den Betrachtungen des Königlichen Ratschlägers Lot Zungspitz
    Es gab keine Ohrfeige.
    Stattdessen führte

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