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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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sich nicht.
    Nun muss ich der Ehrlichkeit halber erwähnen, dass Galt einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Menschen genießt, wenn es darum geht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Seine Augen sind von unterschiedlicher Farbe, das eine von hellem Grün wie ein junger Trieb, das andere eigentümlich gelb, wie wenn man Dotter durch ein Stück Bernstein betrachtet. Und dort, wo ich in meiner Mutter wuchs, erzählt man sich seit jeher, dass Menschen mit zwei ungleichen Augen die Welt anders sehen. Sie können hinter, durch und zwischen die Dinge blicken, auf die Fäden, die Rädchen, die Pendel und die Federn, die dieses ehrfurchtgebietende Werk, das wir als Wirklichkeit bezeichnen, auf ewig am Laufen halten. Das ist womöglich nur dummes Gewäsch, aber wenn man eine Weile mit Galt unterwegs gewesen ist, ist man zumindest in Versuchung geführt, es für bare Münze zu nehmen. Genug geschwätzt. Ihr werdet es bald selbst erfahren, und ihr werdet ihn mögen, weil man gar nicht anders kann. Ach, dieser widerliche, vom Glück verfolgte Schönling …
    Ich erspare es mir, euch davon zu berichten, wie wir über die Grenzen in das Reich der Elfen gelangten. Ich müsste mir nur wieder von gewissen dummen Gänsen anhören, ich wäre ein prahlerischer Lügner.
    Wir fanden uns also – getrieben von der Eile, das Leben Abertausender aufs Spiel gesetzt zu wissen – in der Heimstatt der Kinder des Dunstes wieder. Ein zauberhafter Ort, im allerwahrsten Sinne dieses Wortes. Uns fielen vor staunendem Glotzen schier die Augen aus dem Kopf, so viel gab es dort für uns zu sehen. Da waren die kühnen Bauten, die in geschwungenen Formen in den Himmel strebten. Keine Fuge, keine Nut war an ihnen zu erkennen, als verstünden sich die Kinder des Dunstes darauf, das Holz, aus dem sie ihre Häuser bauten, formbarer zu machen als geschmolzenes Glas.
    Da waren die Kanäle, die das Reich der Elfen durchzogen. Nicht die geraden, kantigen Verschandelungen des Grunds, in die die Menschen das Wasser zwingen, nein. Dieses Wasser floss in sanften Bahnen, die an den freimütigen Lauf von Bächen erinnerten, und wo sie zusammenliefen, schwammen Schwärme von Fischen, die Flossen fein wie ein Nebelhauch und die Schuppen schimmernd wie Edelsteine.
    Die Luft war vom freudigen Gesang von Vögeln erfüllt – einer Art, wie ich sie nur dort gesehen habe. Diese Geschöpfe besaßen den Liebreiz und das prächtige Gefieder der Bunttauben, wie sie in den Baumkronen des Wispernden Dschungels nisten, doch ihr Flug war so schnittig und elegant wie der der Schwalben von den Donnerklippen. Zudem waren diese Vögel zahm, und sie schienen großen Gefallen daran zu finden, sich einem auf die Schultern zu setzen und süßeste Melodien ins Ohr zu zwitschern.
    Kurzum: Wenn man sich ein erfülltes Leben so vorstellt, den lieben langen Tag von einem gewundenen Turm aus verzückt in die Wolken zu schauen, schönen Fischlein beim Schwimmen zuzusehen und sich von netten Vögelchen auf den Kopf kacken zu lassen … dann, ja dann kann man in diesem Reich gewiss glücklich werden. Männern von meinem Schlag hingegen würden vor Langeweile rasch die Eier im Beutel faul, da wette ich drauf.
    Jedenfalls hatten wir kaum die Grenze dieses wundersamen Reichs passiert, da sahen wir uns auch schon einer kleinen Heerschar gegenüber. Aus den Augen eines gewöhnlichen Kriegers betrachtet, der im Kampf nur auf die Wucht der eigenen Hiebe setzt und der die Gefahr, die von einem Gegner ausgeht, gern anhand des Wuchses seines Feindes einschätzt, ist so ein Elf eine traurige Erscheinung. Zugegeben, die meisten von ihnen sind ein oder zwei Köpfe größer als ein Mensch, aber ihre Statur ist derart schmächtig, dass man meint, sie ohne viel Federlesens über einem Knie in zwei Hälften brechen zu können. Selbst ihre Rüstungen bieten scheinbar nur einen höchst unzureichenden Schutz, da sie aus dünnen Holzteilen gefertigt sind, die sich wie eine zweite Haut um die flachen Oberkörper und die mageren Gliedmaßen ihrer Träger legen. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig, und wenn unser gewöhnlicher Krieger sich von ihm täuschen lässt, ist er wahrscheinlich bald ein toter Krieger.
    Denn nicht nur sind die Panzer der Elfen härter als der Gondull eines Jünglings, der im Badehaus in den Weiberzuber steigt! Die Kinder des Dunstes führen Waffen, die jeden unvorsichtigen Schlagedrauf blutigste Lektionen lehren. Ich spreche nicht von ihren Pfeilen. Jedes Kind weiß, dass die

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