Heldenwinter
Kirkobinak Membal genannt, der Sprudelnde Mund der Geheimnisse
Bis zum nächsten Rastplatz – einer weiteren Laube wie der, in der sie die letzte Nacht verbracht hatten – war Dalarrs Groll so weit verflogen, dass Namakan glaubte, seinen Meister gefahrlos ansprechen zu können.
»Ich freue mich auf die Elfen«, sagte er. »Ehrlich, Meister.«
Dalarr stocherte sich mit dem Fingernagel Reste eines Tannenfladens aus den Zähnen. »Natürlich freust du dich, du Spertill. Darum geht es doch gar nicht.« Er warf Ammorna einen frostigen Blick zu, vor dem sich weniger sture Köpfe sicher abgewandt hätten. »Es geht darum, dass es eine Überraschung hätte werden sollen.«
»Ich weiß nicht, warum du dich anstellst wie ein Bär, dem man den Honig gestohlen hat«, meinte Morritbi frei heraus, noch ehe Namakan etwas auf die Erklärung seines Meisters hätte erwidern können. »Es ist doch auch so eine Überraschung.«
»Du …«
»Ich hätte nie gedacht, einmal einen Elfen zu Gesicht zu bekommen«, sprach Morritbi unbeirrt weiter. »Selbst hier im Hain kann sich niemand, mit dem ich je geredet habe, noch daran erinnern, einem Elfen begegnet zu sein. Die meisten meinen, sie wären alle fort.«
»Sie haben schon immer sehr zurückgezogen gelebt«, warf Kjell ein. »Es ist auch früher nur selten vorgekommen, dass sie einen ihrer Abgesandten an einen Adelshof schicken.«
»Oh«, brummte Dalarr und zeigte anklagend auf Ammorna. »Hat sie dir das etwa auch erzählt? Dann muss sie ja eine waschechte Chronistin sein, wo sie doch so viel über die Kinder des Dunstes weiß.«
»Mir ist so einiges über sie bekannt, ja«, gab Ammorna spitz zurück. »Beispielsweise, dass sie es anderen nicht erlauben, ihr Reich zu betreten.«
»Stimmt. Eine Nebelkrähe hat wahrscheinlich noch nie einen Fuß auf ihren Boden gesetzt«, spöttelte Dalarr. »Aber es gibt durchaus Leute, für die sie gern eine Ausnahme machen.«
»Und du bist einer von diesen Leuten?« Kjell verhehlte seinen Zweifel nicht. »Ausgerechnet du?«
Dafür, dass ihm jede Nacht hässliche Haare auf ihr wachsen, trägt er seine Nase ziemlich hoch, ärgerte sich Namakan. »Wenn der Meister sagt, dass es so ist, dann ist es auch so. Er würde uns nicht anlügen. Warum sollte er das auch?«
Ammornas schmale Lippen zuckten, doch sie schluckte das, was ihr offenbar auf der Zunge lag, mühsam hinunter.
»Ich glaube ihm.« Morritbi tätschelte Namakan das Knie. »Wer mit einer Riesenspinne feilscht, ohne eingesponnen an ihrer Wand zu landen, kann auch ein Freund der Elfen sein.«
»Von diesem Fohlen kannst du noch was lernen, Amme.« Dalarr lächelte versonnen. »Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen letzten Besuch bei den Elfen, und wir sind tatsächlich als Freunde auseinandergegangen. Alles andere wäre ja auch geradezu unverschämt von ihnen gewesen, wenn man bedenkt, dass ich ihrer Königin einen Mann besorgt habe.«
»Du hast was?«, entfuhr es Ammorna entgeistert.
Dalarr lehnte sich zurück, stützte sich auf den Ellenbogen ab und schlug die Beine übereinander. »Richtig gehört. Ich darf mir auf die Fahnen schreiben, zwei verwandte Seelen zueinandergeführt zu haben. Und ich will euch auch gerne erzählen, wie es dazu kam.«
Unser Weg führte uns nicht aus reiner Neugier oder Abenteuerlust zu den Kindern des Dunstes. Wir suchten sie, weil wir etwas von ihnen brauchten. Und zwar dringend. Etwas, was nur einer der ihren uns geben konnte. Das Schicksal ganz Tristborns, wenn nicht gar der gesamten Welt hing davon ab, dass wir auf unserer Suche Erfolg hatten.
Wir, das waren damals …
Halt! Ich will euch nicht mit Einzelheiten über Menschen langweilen, von denen ihr noch nie etwas gehört habt. Es reicht, wenn ich zwei meiner Begleiter erwähne.
Der eine ist dieser verschlagene Hund, den ich damals meinen Bruder hieß. Ja, Waldur. Doch er spielt in dieser Geschichte keine sonderlich große Rolle.
Der andere hingegen hat meine Wertschätzung nie verloren. Wie könnte er auch? Galt Songare ist ein Mensch, wie er viel zu selten geboren wird. Einer, der die Sanftmut eines Lamms und den Mut eines Löwen in sich vereint. Einer, dessen starker Schwertarm der Schärfe seines Geistes in nichts nachsteht. Einer, der trotz alldem trinkfest und einem Sprung in offene Arme oder zwischen gespreizte Schenkel nie abgeneigt ist. Manche meinen, gerade diese letzten beiden Eigenschaften machten einen unterhaltsamen Gefährten aus, und lasst euch gesagt sein: Sie täuschen
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