Heldenwinter
Elfen meisterhafte Bogenschützen sind. Nur die wenigsten kennen jedoch ihre Elal Tscheb Kemikal, den Flüsternden Todesregen, Wurfringe mit messerscharf geschliffenen Kanten und ringsum darin platzierten Löchern, damit das Letzte, was man hört, wenn einem ein solcher Ring den Hals aufschlitzt, ein höhnisches Pfeifen ist. Oder die Tschusch Tijik, der Stechende Zorn, ihre Schwerter, die gleich drei Klingen haben, jede biegsam wie eine Peitsche und von dornigen Widerhaken überzogen.
Wir hätten diese zwei, drei Dutzend Elfen, die uns da nun umzingelt hatten, womöglich sogar in die Flucht treiben können. Doch wozu? Wir waren ja nicht in ihre Heimstatt vorgedrungen, um uns ein paar spitze Ohren an den Gürtel hängen zu können. Wir wollten um einen Gefallen bitten.
Also verhandelte Waldur mit ihnen. Damals wie heute ist er ein Mann, der stets die richtigen Worte findet, um andere seinem Willen gehorchen zu lassen. Das muss man ihm zugestehen.
Er verlangte von den Elfen, sie mögen uns zu ihrem Anführer bringen. Die Elfen steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten, und ich durfte begreifen, dass ein Achselzucken unter ihnen genau das Gleiche aussagt wie unter uns Menschen – mal Unwissenheit, mal Gleichmut, mal beides zusammen. Sie gaben Waldur eine Antwort, und er versicherte uns: »Wir gehen zu ihrer Königin.«
Eskortiert von unseren neuen Freunden gingen wir bald etwas hinunter, was ungefähr einer Prachtstraße in Silvretsodra entspricht, denn dieser Weg führte auf das größte Bauwerk im Reich der Elfen zu. Und wie eine Prachtstraße in der Reichshauptstadt war dieser Weg von Statuen gesäumt. Doch hier standen keine toten, steinernen Abbilder lange vergessener Helden, die grimmig in die Welt hinausstarrten. Das sanftmütige Wesen dieser verehrten Ahnen war in lebendigem Holz eingefangen, und sie waren in die prächtigsten Gewänder gehüllt. Ich rechnete fast damit, dass sich die Elfen einen Scherz mit uns erlaubten und sich die Statuen als Täuschung entpuppen würden. Dass sie in Wahrheit gleich wieder von ihren Podesten herabsteigen würden, sobald wir an ihnen vorübergeschritten waren. Sie taten es nicht. Ich habe mich eigens umgesehen.
Wir marschierten eine ganze Weile an dieser Zurschaustellung elfischer Wunderkunst entlang. Hierzu sei gesagt, dass die Kinder des Dunstes offenbar eine große Abneigung gegen gerade, gepflasterte Straßen besitzen. Sie ziehen unbefestigte Pfade vor, die sich in zahllosen Windungen dahinziehen. Ich befürchte fast, das spiegelt ihre verworrene Art zu denken wider. Warum das Einfache tun, um ein Ziel zu erreichen? Warum überhaupt etwas tun, wenn man genauso gut nichts tun kann?
Elfen …
Wo war ich? Ah ja. Der Weg zur Halle der Zusammenkunft. Fragt mich nicht, wie die Elfen sie in ihrem Kauderwelsch nannten. Wahrscheinlich hört es sich so an wie alles andere auch, was ihnen über die Lippen kommt. Dieses zischelnde Singen, wie von einem heiseren Knaben, dessen Stimme immerzu bricht. Irgendetwas mit Tscha oder Tschi am Anfang.
Wie auch immer …
Ich kann die Halle der Zusammenkunft nicht erwähnen, ohne ihre Bauweise zu preisen, denn das wäre ein unverzeihliches Versäumnis. Nirgendwo sonst steht ein Gebäude wie dieses. Es ist einer riesigen Knospe nachempfunden, die sich gerade erst öffnet, um preiszugeben, was sie zwischen ihren Blättern bewahrt: eine glatte, nicht minder riesige Kugel aus blauschwarzem Stein. Diese äußere Erscheinung hat einen triftigen Grund, aber dazu gleich mehr.
Die Elfen geleiteten uns in die Halle hinein, zu einem Geschöpf, dessen Schönheit ihresgleichen sucht. Nimarisawi. Wogendes Haar, das ihr wie ein Umhang aus geronnenem Quecksilber bis weit über die Hüften fiel. Ihre Haut ist Milch, eine frische Schneedecke, ein Laken, das sich nie beflecken ließe. Ihre goldenen Augen sind die einer Katze, eine einzige Einladung, sich in ihnen zu verlieren und zu ihrem fernen Grund hinabzutauchen. Ihr Kleid, aus blühenden Blumen geflochten, umfließt ihre Schultern und Hüften in der Art, in der ein Strom behutsam über die Felsen in seinem Bett gleitet.
Ich kann von Glück reden, dass Lodaja uns nicht begleitet hatte, da sie an einem anderen Ort dringender gebraucht wurde, um darüber zu wachen, dass ein neues Leben seinen Weg in diese Welt fand. Meine Blicke hätten mich verraten und ihre Eifersucht geweckt. Dennoch spüre ich keine Schuld über das plötzliche Begehren, das in mir aufwallte. Allen anderen erging es genauso,
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