Heldenwinter
und wer weiß schon, ob selbst Lodaja den Reizen Nimarisawis mit kühler Gleichgültigkeit begegnet wäre. Flikka mek, ich hätte ein verschnittener Sklave sein müssen, um dieses Kind des Dunstes mit müden Augen zu betrachten.
Dann geschahen zwei Dinge zur gleichen Zeit. Waldur, der sich seit jeher selbst am liebsten reden hört, begann damit, wortreich unser Ansinnen vorzutragen. Galt dagegen ging auf die Knie und beugte das Haupt, wie man es in seiner Heimat nun einmal hält, wenn man vor eine Königin tritt.
Die Elfen sahen alle reichlich verdattert aus.
»Was tust du da, Rundohr?«, fragte Nimarisawi.
Ich wollte später einmal von ihr wissen, wo sie die gemeine Sprache aufgeschnappt hatte, die man in Tristborn und in manchen der angrenzenden Länder spricht. Sie behauptete steif und fest, sie hätte die Worte dafür aus dem Geist eines träumenden Wanderers gestohlen, der eines Nachts ganz in der Nähe der Grenze zu ihrem Reich sein Lager aufgeschlagen hatte. Ich hielt das für Unfug, obwohl mir die Legenden nicht unbekannt waren, in denen einsame Wanderer im Schwarzen Hain unvermittelt einem Elfen begegnen. Diese Legenden enden alle gleich: Dem Menschen verschlägt es die Sprache, und er kann nie über das berichten, was er gesehen hat, weil er für immer stumm bleibt. Unfug. Ich bin ja nun bei den Elfen gewesen, und trotzdem sitze ich hier bei euch am Feuer und schnattere wie ein Ganter. Andererseits … womöglich hatten wir alle damals auch einfach nur Glück, und die Elfen mochten uns so sehr, dass sie uns unsere Worte gelassen haben. Falls dem so sein sollte, dann ist das einzig Galts Verdienst.
»Ich knie nieder, wie es sich vor einer Königin gebührt«, antwortete mein Freund auf Nimarisawis Frage.
Sie lächelte kurz, wie man über den dummen Schabernack eines Kindes lächelt, das es nicht besser weiß, als einfältige Witze zu erzählen. »Warum erhebst du dich nicht? Wie kann ich eine Königin sein, wo es unter den Kal Majul keine Könige und keine Königinnen gibt?«
Ich kann nicht anders, als noch einmal die ungewöhnlichen Sitten der Kinder des Dunstes zu erwähnen, damit ihr begreift, was da vor sich ging. Eine ihrer Unarten ist, dass sie all ihre Aussagen als Fragen treffen. Aber was soll man von einem Volk, das sich weigert, gerade Straßen zu bauen, auch anderes erwarten?
Zu den erfreulichen Traditionen, die sie vorzuweisen haben, zählt ein Ritual, das sie jeden Neumond durchführen. Sie finden sich alle in der Halle der Zusammenkunft ein. In deren Mitte entspringt aus dem Boden die Knospe mit dem Stein darin, die der Halle zum Vorbild diente. Die echte Knospe ist kaum weniger imposant – drei Männer mit Armen lang wie die von Kjell könnten sie wohl nicht ganz umfassen. Das Ritual ist schlicht und ergreifend zugleich – sofern man zu der Sorte gehört, die sich von Ritualen ergreifen lassen. Die Elfen treten an die Knospe – einer nach dem anderen –, singen eine einzige Silbe zu einer Melodie, die ihnen gerade zwischen den Ohren herumschwirrt, und streichen mit den Fingerspitzen über ein Blatt der Knospe. Bei einem von ihnen zeigen Knospe und Stein eine erstaunliche Regung: Die Knospe entfaltet eines ihrer Blätter, und der Stein führt den gesungenen Klang fort. Das Kind des Dunstes, das von Knospe und Stein auserkoren wird, trägt bis zum nächsten Neumond zwei Ehrentitel. Tschelal Kulaschi, die schönste Stimme, und Tschun Koschijal, die zarteste Blüte. Nun ist es nicht so, dass die anderen ihm in irgendeiner Weise Gehorsam leisten müssten. Sie streben nur danach, dem Auserkorenen mit besonderer Zuneigung und Aufmerksamkeit zu begegnen, was sie durch allerlei Geschenke zum Ausdruck bringen – Blumenketten, Lieder, Gedichte, kleine Schnitzereien und dergleichen Tand mehr.
Ich habe Nimarisawi nie danach gefragt, um mir meine Selbstachtung zu wahren, doch ich sollte mich wohl damit abfinden, dass uns die anderen Kinder des Dunstes nur zu ihr gebracht haben, weil sie ihr ein besonders ausgefallenes Geschenk präsentieren wollten.
Nun, Galt stand auf, und Waldur räusperte sich, um seinen Vortrag fortzusetzen. Er kam nicht sehr weit. Diesmal war es Galt, der ihm über den Mund fuhr.
»Etwas bedrückt dich«, sprach er die Auserkorene an.
Waldur und ich verdrehten zunächst die Augen, weil wir dachten, unser Begleiter ziele unbedingt darauf ab, ins Bett einer Elfenkönigin zu gelangen. Umso verblüffter waren wir, als Nimarisawi erneut lächelte – und es entging uns
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