Heldin wider Willen
kühlen grauen Augen in einem breiten Gesicht. Auf dem
Namensschild stand Santini; die Streifen wiesen ihn als Pivot-Major aus. Der Gesichtsausdruck kennzeichnete ihn als Killer und verriet Stolz darauf.
Barin bemühte sich, seine Moral wiederzufinden. Er wusste, was man von einem Serrano erwartete, der böse in der Klemme steckte: Gegen jede Chance den Sieg davontragen. Sicherlich entkommen. Im Idealfall die Bösen dingfest machen. Alles, was man dazu brauchte, war Grips, worüber er verfügte, sowie Mut und körperliche Fitness – die man von ihm erwartete. Seine Großmutter hätte das im Schlaf geschafft. Jeder der großen Serranos könnte es schaffen.
Er fühlte sich nicht wie ein großer Serrano. Er fühlte sich wie ein kleiner, unerfahrener Junge, dessen Nase mindestens so groß 441
war wie ein Parpaunball, dem alles wehtat, der von großen gefährlichen Männern umringt war, die ihn zu töten planten: hilflos also. Er hasste es, sich hilflos zu fühlen, aber sogar dieser Widerwille weckte nicht die Woge trotzigen Zorns, die er gebraucht hätte.
Tu es trotzdem, wies er sich an. Falls er sich schon nicht tapfer vorkommen konnte, blieb ihm immer noch der Grips im Kopf. Er ließ die Augenlider fast wieder ganz zugleiten. Dieser Mann dort war kein Pivot-Major namens Santini, sondern trug einen anderen Namen … und vielleicht gebrauchten seine
Kameraden ihn. Vielleicht konnte Barin ihn heraushören, auch wenn er ihre Sprache nicht verstand. Zumindest dürfte es möglich sein, die Kommandostruktur dieser Gruppe
aufzudecken, einfach indem er die Leute im Auge behielt.
Der Mann, der ihn betrachtete, sagte etwas, und Barin spürte, wie ihn jemand kräftig an den Haaren zog. Er unterdrückte ein Stöhnen und öffnete die Augen wieder.
»Du brauchst jetzt nicht zu schlafen, Junge«, sagte der Mann.
Sein Akzent war auch nicht ausgeprägter als bei anderen
Leuten, die Barin schon inmitten der Familias hatte reden hören, wies aber eine verächtliche Schärfe auf, wie sie selbst seine ersten Ausbilder auf der Akademie nicht benutzt hatten. Ihnen war es egal gewesen, ob er die Prüfung bestand oder nicht; diesem Mann war es egal, ob er überlebte oder starb. »Du musst lernen, was du bist.« Ein paar Worte in dieser anderen Sprache folgten – Barin wusste nicht mal, wie die Sprache der Bluthorde hieß –, und jemand legte ihm von hinten etwas Kaltes und Hartes der Länge nach seitlich an den Hals.
Hinter ihm ertönte erneutes Geplapper in der seltsamen
Sprache; der Mann vor ihm grinste. Schmerz explodierte in 442
Barins Hals und fuhr die Arme hinunter; er hatte das Gefühl zu bersten, als lösten sich die Finger in Scherben aus Schmerz auf, die meterweit geschleudert wurden und immer noch wehtaten.
Ehe er schreien konnte, steckte ihm der schmutzige Knebel schon wieder im Mund. Tränen strömten ihm aus den Augen; er zitterte am ganzen Körper. Dann war es vorbei.
»Genau das bist du«, sagte der Mann. »Unterhaltungsware.
Vergiss das nicht.« Er sagte noch etwas anderes, und alle standen auf. Barin wurde auf die unsicheren Beine gezerrt und mitgeschleppt, als die Männer einem Gang folgten, den er noch nie gesehen hatte. Und kein einziger Videoscanner war zu sehen.
»Schlechte Nachrichten«, sagte Major Pitak, als sie von einer Dienstbesprechung zurückkehrte. Esmay blickte auf. »Der
Sicherheitsdienst hat eine Leiche gefunden, die in einem Versorgungswandschrank auf Deck 8 in T-2 steckte; es war jemand, der schon einen rosa Anstecker getragen hatte.
Genickbruch, sauber und professionell. Außerdem hat der Feind eine Geisel – möglicherweise. Ensign Serrano.«
»Barin!« Es entfuhr Esmay, ehe sie sich beherrschen konnte.
»Er war losgeschickt worden, um etwas aus dem Lager zu
holen – keines der automatischen Systeme ist zurzeit in Betrieb
–, und kam nicht zurück. Als sich seine Einheit auf die Suche nach ihm machte, fanden sie ein Sicherungsgurtwerk in dem Regal, an dem er beschäftigt gewesen war, sowie einen
Blutfleck; er sah danach aus, als wäre es mehr Blut gewesen, und jemand wäre beim Aufwischen nicht gründlich genug
gewesen.«
443
»Also mussten sie ihn niederschlagen, um ihn dingfest zu machen«, sagte Esmay.
»So könnte man sagen. Commander Jarles und Commander
Vorhes sind beide wütend und sind sich gerade eben bei der Besprechung fast an die Gurgel gefahren. Warum wurde
Serrano allein losgeschickt; warum hat nicht jemand früher Alarm geschlagen, und so weiter. Der
Weitere Kostenlose Bücher