Heldin wider Willen
wäre er selbst doch viel zu spät gekommen, um die Lage zu retten.«
»Ich … weiß nicht recht. Er ist tapfer …«
»Es geht hier nicht allein um Tapferkeit, und Sie wissen das.
Umsicht und Mut sind gute Kameraden; Feigheit dagegen kann sich so überstürzt auswirken wie der Mut, den man in
Videowürfeln dargestellt findet.« Der Admiral lächelte, und Esmay war kalt zumute. »Lieutenant, wenn Sie schon mich vor Rätsel stellen können, dann versichere ich Ihnen, dass Sie den Rest der Flotte vor noch größere Rätsel stellen. Nicht, dass die Leute sich wünschten, Sie hätten anders gehandelt – aber sie verstehen es auch nicht. Falls Sie eine Befähigung solchen Ausmaßes verbergen konnten, all die Jahre lang unter einer verbindlichen Fassade, was verbergen Sie dann noch? Einige haben sogar den Verdacht geäußert, Sie könnten eine schlafende Agentin der Benignität sein, Sie hätten irgendwie Commander Hearne etwas angehängt und eine Meuterei inszeniert, nur um sich als Held bekannt zu machen.«
»Das habe ich nicht getan!«, sagte Esmay, ohne zu überlegen.
»Ich glaube auch selbst nicht daran. Derzeit herrscht aber eine Vertrauenskrise in den ganzen Regierenden Familias, und sie spart den Regulär Space Service, unsere Flotte, nicht aus. Es war schon schlimm genug zu entdecken, dass Lepescu sich
einen Spaß daraus machte, Angehörige der Flotte zu töten, aber dass drei verräterische Kommandanten auf einen Schauplatz wie Xavier entsandt werden konnten – das hat das Selbstvertrauen des Flottengeheimdienstes erschüttert, wozu auch jeder Anlass besteht. Von Rechts wegen müssten Sie schnellstmöglich durch das obligatorische Verfahren geführt und dann als die Heldin gefeiert werden, die Sie sind – und machen Sie sich nicht die 57
Mühe, es abzustreiten. Sie sind es. Zu Ihrem Pech sprechen die Umstände gegen Sie, und ich vermute, dass Sie und Ihr
Verteidiger ein paar raue Wochen haben werden. Ich kann
nichts daran ändern; derzeit würde es Ihnen nur zum Schaden gereichen, falls ich meinen Einfluss ausspielte.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Esmay. Es war nicht in Ordnung, jedenfalls nicht, wenn sie alles richtig verstanden hatte, was Admiral Serrano andeutete, aber sie sah sicherlich ein, warum der Admiral die Dinge nicht ändern konnte. Als Tochter eines ranghohen Offiziers hatte sie das in ihrem Leben gelernt, wenn schon sonst nichts. Macht hatte stets Grenzen, und wenn man mit dem Kopf dagegen anrannte, holte man sich nur eine Beule.
Der Admiral starrte sie weiter mit diesem intensiven dunklen Blick an. »Ich wünschte, ich wäre besser mit Ihnen und Ihrer Herkunft vertraut. Ich kann nicht mal erkennen, ob Sie hier selbstzufrieden, angemessen vorsichtig oder völlig entsetzt vor mir sitzen … Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu
informieren?«
»Benommen«, antwortete Esmay aufrichtig. »Ich bin sicherlich nicht selbstzufrieden; ich war es nicht mal vor Ihrer Warnung. Ich weiß, dass junge Offiziere, die in eine Meuterei verwickelt werden, aus welchem Grund auch immer, stets einen Makel zurückbehalten. Ob ich jedoch angemessen vorsichtig oder völlig entsetzt bin – das weiß ich selbst nicht.«
»Wo haben Sie dann eine derartige Selbstbeherrschung
gelernt, falls Ihnen meine Frage nichts ausmacht? Normalerweise sind unsere Rekruten von Kolonialplaneten allzu leicht zu durchschauen.«
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Das klang nach ehrlichem Interesse; Esmay fragte sich, ob es das auch wirklich war und ob sie es wagen konnte zu antworten.
»Weiß der Admiral über meinen Vater …?«, begann sie.
»Einer von vier Sektorkommandeuren auf Altiplano; ich
vermute, man kann dem entnehmen, dass Sie in einer Art
Soldatenhaushalt aufgewachsen sind. Die meisten planetaren Milizen sind jedoch weniger … förmlich … als wir.«
»Es fing mit Papa Stefan an«, sagte Esmay. Sie war nicht ganz sicher, ob es wirklich mit ihm angefangen hatte, denn wie hatte Papa Stefan die Erfahrungen gesammelt, die er später weitergab? »Zwar ist es nicht wie die Flotte, aber wir haben ein erbliches Militär … zumindest gilt das für die führenden Familien.«
»Laut Ihrer Akte sind Sie jedoch auf einer Art Farm aufgewachsen?«
»Einer Estancia«, antwortete Esmay. »Das ist – mehr als eine Farm. Und ganz schön groß.« Ganz schön groß war kaum die passende Beschreibung; Esmay wusste nicht einmal, wie viele Hektar das Hauptgut umfasste. »Papa Stefan bestand jedoch darauf, dass alle Kinder in gewissem Maße eine
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