Heldin wider Willen
Maßstäben der Familias-Flotte auch hatte, sie sprang glücklich und ohne Widerstand von einer Kursänderung zur nächsten. Esmay hatte mit ihrer Entscheidung richtig gelegen – das andere Schiff konnte ebenfalls ausweichen. Es hielt jedoch seine Position, als wäre man dort drüben überzeugt, dass Esmay keine Gefahr
darstellte.
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»Das Große nimmt Fahrt auf«, meldete Lucien. »Sie spucken eine ganz schöne Fahne aus, aber Bowry sollte es trotzdem kriegen …«
»In Reichweite«, sagte Arramanche.
»Dann los«, sagte sie. Arramanche drückte auf die Steuerung; das ganze Schiff erbebte, als sein kompletter Raketenvorrat startete.
»Kein Wunder, dass sie keine Strahlenkanonen auf dieser
Kiste montieren – sie würde auseinander fallen«, bemerkte Simkins.
»Genau auf Kurs!«, brüllte der Scannertech auf der Kos. »Sie haben …«
Der Bildschirm leuchtete auf, und ihr Ziel verschwand.
»Guter Schuss«, sagte Esmay. »Jetzt – nehmen wir uns das Dritte vor.«
»Zwei ausgeschaltet«, meldete der Koskiusko-Kontakt. Das musste Bowry im anderen Bluthordeschiff gewesen sein.
Sicherlich hatte man die Wraith nicht so schnell hinausschaffen können.
»Toller Schuss«, fand Lucien. Esmay warf einen Blick auf seinen Monitor und stellte fest, dass das Bild jetzt viel schärfer war als zuvor. Vielleicht war er ja ein Genie.
Die künstliche Schwerkraft auf dem eigenen Schiff
schwankte, als Simkins mit einem scharfen Manöver versuchte, eine gute Schussbahn auf das dritte Schiff der Bluthorde zu erreichen. Dieses Schiff hatte in Richtung Koskiusko beschleunigt und war dann abgeschwenkt, als sowohl Esmay wie Bowry es aufs Korn nahmen.
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»Es hat Raketen gestartet«, meldete Lucien im selben
Augenblick, als ihnen der Scannertech der Koskiusko das Gleiche meldete. »Zielerfassung läuft… ein Schwärm auf die Kos und jeweils einer auf uns und Bowry. Schlecht gezielt …
Man sollte denken, dass sie bei einem Ziel von der Größe der Kos…«
Esmay ignorierte das und wies Simkins an, das Letzte an
Beschleunigung aus dem Schiff herauszuholen.
»Wir schaffen es nicht«, meinte Arramanche. »Es …«
Die Position der Wraith erstrahlte auf Luciens Scannerbild.
»Alles heiß geworden«, sagte Luden. »Ich wusste gar nicht, dass sie noch so viel auf Lager hatte …«
»Habe ihn«, meldete sich Seskas gelassene Stimme in
Esmays Kopfhörer. Und die komplette Backbordbatterie der Strahlengeschütze konzentrierte sich auf das flüchtende Schiff der Bluthorde und überwältigte seine Schilde … Der Bildschirm flammte ein letztes Mal auf.
»Kommandant an Kommandant«, sagte Bowry. »Ich würde
sagen, diesmal wird kein höherer Rang ausgespielt, hm? Jeder einen, das war eine faire Verteilung. Auch wenn zwei von ihnen nur Tontauben abgaben.«
»Nicht unsere Schuld«, sagte Seska. »Außerdem mussten Sie beide den Gegner mit seinen eigenen Waffen erledigen – das bringt die Schwierigkeitsstufe auf ein akzeptables Niveau.«
»Danke«, sagte Bowry.
Esmay lächelte ihre Besatzung an. »In Ordnung, bringen wir diese Kiste zurück zur Kos, ehe uns noch jemand aufs 579
Geratewohl ins Visier nimmt.«
»In diesem System finden wir niemanden mehr, der es wagen würde«, meinte Arramanche.
Esmay führte die Antberd's Axe ohne Schnörkel ins Testgestell zurück; eine Truppe der Koskiusko stand bereit, gab die Instruktionen für die Einfahrt ins Dock und vertäute das kleine Schiff mit »angemessener Sorgfalt«. Esmay überwachte das Herunterfahren der Systeme, die Verriegelung der Bordwaffen; sie sorgte dafür, dass die beiden toten Mitglieder der Bluthorde in Leichensäcke gesteckt und der Decksmannschaft übergeben wurden. Simkins reichte ihr den kleinen roten Schlüssel – einen richtigen Schlüssel, stellte sie verblüfft fest, ein starker Kontrast zu den Kommandostäben, mit deren Hilfe man bei der Flotte Steuerungen entriegelte –, und sie steckte ihn in die Tasche ihres Raumanzugs. Dann folgte sie den anderen aus dem Schiff und schloss eigenhändig die Luken.
Als sie wieder an Bord der Koskiusko waren, zurück in belüfteten Räumen, heraus aus den Raumanzügen, die einen ganz eigenen Gestank entwickelt hatten, wünschte sich Esmay drei Dinge: eine Dusche, eine Koje und Nachricht von Barin Serrano. Stattdessen fand sie sich im Mittelpunkt einer
rufenden, lachenden, weinenden, tanzenden Menschenmenge
wieder. Ihre eigene Besatzung, die der Wraith, die Bowrys, die durch den Tunnel herangestürmt kam, und
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