HelHeg-AxoRoa
sie mich zwar schlafend, jedoch unversehrt am hinteren Ende eines der Tresen wiederfindet. Sie fragt mich allen Ernstes, ob wir uns kurz hinsetzen wollen. Geh auf die Knie, Sweetheart, und küsse den Boden. Es wird nicht geredet auf dem Lederpolster ihrer Wahl, sondern ernsthaft und stilsicher an einander vorbeigeguckt und so getan, als könne Kommunikation auch hervorragend über die grenzenlose Toleranz für das Schweigen des jeweils anderen funktionieren.
»Sollen wir gehen? Es ist so langweilig hier.«
»Ja.«
»Was hattest du eigentlich an, als du Alice zum ersten Mal geküsst hast?«
Ich bewältige den vierundzwanzigtägigen Fußweg nach Hause nur, indem ich bei jedem Schritt vorstelle, erschossen zu werden.
Mother
(Pink Floyd)
Das war natürlich eine ziemlich große Katastrophe, wie du da in der vollgepissten Jeans aus dem Vorderfenster zur anderen Straßenseite hinübergeguckt hast und drei Stunden später tot warst. Dein unter den inneren Blutungen zusammengebrochener Organismus hat sich verselbständigt, und deine Augen haben mir praktisch ungeschminkt in dieser überfüllten Notaufnahme zu geschrien, dass du weißt, dass ich durch die Hölle gegangen bin, weil du dich geweigert hast, mit mir zu sprechen. Du wusstest, dass ich mir in dem Augenblick, in dem du aufhörst, mit mir zu reden, alle Adern aufschneiden würde, das habe ich als Kind ja regelmäßig mit einer Rasierklinge versucht, um dir irgendwie klarzumachen, wie furchtbar du bist. Plötzlich warst du dem Leben gegenüber misstrauisch. Das endgültige Fallen aller Ketten, das Todeskriterium. Du besitzt mich, du beherrschst mich, ich habe nichts mit dir zu tun. Die komplette Welt verabscheut mich. Es kann sein, dass ich dich unter zivilisierten Umständen ermordet habe. Männer wollen mich natürlich vergewaltigen, einige Stellen meines Körpers sind ständig entzündet, diese Welt ist das Paradies, Schmerz existiert nicht. Man muss nur lange genug daran glauben. Du hast hirntot in einem diesen Vorabendserien entrissenen Krankenhausnachthemd gesteckt, und ich war dazu verpflichtet, eine Maschine auszuschalten, deretwegen dein Herz nicht zu schlagen hätte aufhören müssen. Hass, cremefarbene Polyestershirts mit Löchern für die Daumen, traditionell ausgelassene Unterhaltungen über Volleyballvereine und Meersalzmasken, ich meine ...
Hör zu, Mutter, mein Beifall wird mein Leben lang immer nur deiner hingerotzten Scheiße gelten ...
Ich wurde von einer masochistischen Maschine in mir zum Äußersten getrieben. Seit du tot bist, lauert hinter den Türen der Wohnungen, in denen ich lebe, keine unvermutete Gewalt mehr, sondern nur noch grenzenlose Enttäuschung. Ich habe auf der Metalltreppe zu unserer Wohnung tote Rotkehlchenembryos gesehen, die aus ihren Nestern gefallen sind und von dir zertreten wurden. Ich habe gelernt, wie man Streichhölzer anzündet, ich habe mir mein Grundvertrauen abgewöhnt und gezwungenermaßen angefangen, dich und all diese mit deinen Zähnen langgezogenen Fleischfasern zu vergöttern. Wärst du nicht gestorben, würde ich noch immer zu Tode erschrocken in einer Lache aus Blut, Kotze und Vaginalsekreten meines Elternteils liegen. Ich habe vollständig versäumt, all diese mit deinem Tod einhergegangenen Vorteile auszukosten, das ganze in der Trauerpost steckende Geld verbrannt und nicht gesprochen, weil ich dachte, das würde irgendwie authentischer wirken, wenn ich da so schweigend rumsitze mit meiner den Eindruck der Versonnenheit verstärkenden blassen Haut. FEHLER. Ich habe ausschließlich gelitten. Die Ausdruckswaffe gegen meine Angst, das alles nicht zu überleben, ist jetzt also dieser Brief hier. Ich habe vor irgendeinem tapezierten Heizkörper gelegen und darauf gewartet, dass endlich alles aufhört.
Ich will Erleuchtung. Wenn ich alles tue, was ich kann, um meine Begierden und Träume und Eigenschaften in eine komplett andere Richtung zu lenken, damit ich dich nicht verlassen muss, wende ich mich dann von all dem ab, was das Teuerste und Tiefste ist: Erleuchtung? Oder bewältigen sich so Sachen wie Erleuchtung als unausweichliche Notwendigkeiten einfach von selbst? O Gott, ich will ja gar nicht mehr so was schreiben. Habe letztens alle Filme mit Gena Rowlands gesehen. Ich muss wirklich sagen, dass du eine Mischung aus Gena Rowlands und allen von ihr verkörperten Rollen in den Cassavetes-Filmen warst.
Gena Rowlands als Frau unter Einfluss, die im gleichnamigen, eindringlich gespielten Familiendrama
Weitere Kostenlose Bücher