Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Rücksprache mit der Schule einen Fachmann für Elektrosmog zur Messung in das Schulgebäude schickte, weil darauf angeblich ein Mobilfunksendemast stehe. Tatsächlich handelte es um eine alte, nicht mehr funktionstüchtige Fernsehantenne, die man nicht abgebaut hatte.
Kinder an der Fußfessel
Sorge um die Kinder darf nie zur Rundumüberwachung werden. Vielmehr bewirken Ängste, die daraus entstehen, immer Horrorvorstellungen, die dazu führen, dass es nicht bei der elterlichen Kontrolle der Telefonprotokolle, der Tagebücher und des E-Mail-Verkehrs der Kinder bleibt. Am liebsten würden manche Eltern ihren Kindern Chips einpflanzen, um sie ständig via GPS orten zu können. Und es gibt sie schon, die Armbanduhren mit Satellitenortung. Den elektronischen Fußfesseln für Verbrecher gleichend, ermöglichen sie eine lückenlose Überwachung des Nachwuchses. Eine Mutter oder ein Vater kann dabei elektronisch sogar einen Bereich abstecken, in dem die Kinder sich bewegen dürfen. Verlassen sie ihn, wird ein Alarm ausgelöst.
In der Süddeutschen Zeitung erschien eines Tages ein Artikel über die neuesten Auswüchse der Kindersicherheitsindustrie. Es ging um GPS-Armbändchen für Neugeborene zum Schutz vor Verwechslungen und um Kinderhandys mit «Betreuungsfunktionen». Man kann darin Radiusgrößen eingeben, die das Kind nicht überschreiten soll. Tut es das dennoch, wird automatisch eine SMS auf das Smartphone der Eltern geschickt. Nach dem Erscheinen des SZ -Artikels, der mit viel Ironie geschrieben worden war, stand das Redaktionstelefon nicht mehr still: Eltern und Großeltern riefen in der Redaktion an und wollten wissen, wo man all diese tollen Produkte kaufen könne und welche denn am besten seien. Dieselbe Zeitung berichtet am 9. Februar 2013 von einem Vater in Vermont, der aus einem ferngesteuerten Spielzeughubschrauber und einem Smartphone eine private Überwachungsdrohne bastelte und seinem Sohn, einem Schulanfänger, einen Sender in den Schulranzen steckte. Von zu Hause oder vom Büro aus konnte er nun verfolgen, ob der Junge die 400 Meter lange Strecke vom Elternhaus zum Schulbus bewältigte.
«Parents’ Watch» heißt das auf Englisch. «Big Parents’ Watch» wäre in Anlehnung an George Orwells «Big Brother» und seine düstere Vision «1984» noch zutreffender. Eltern verwanzen die Telefone ihrer Kinder, installieren heimlich Kameras in ihren Zimmern und schicken von den Kopfkissen aufgeklaubte Haarsträhnen zur Drogenanalyse ins Labor. Das geht teilweise so weit, dass Eltern in den Kindergärten Videokameras installiert haben möchten, um jederzeit aus der Entfernung nach ihrem Kind schauen zu können. Für England beschreibt es der Soziologe Frank Furedi so: Die Londoner Kindertagesstätte «Happy Times» mit ihren 119 Plätzen brüste sich mit der neuesten Sicherheitstechnologie, inklusive einem Handflächen-Erkennungssystem. Und der Crawford-Kindergarten in London sei die erste Kindertagesstätte, von der aus die Eltern ihre Kinder von zu Hause oder von ihrem Büro aus mit Hilfe der Videoüberwachung in den Kita-Räumen beobachten könnten. Man hat den Eindruck, dass der Sicherheitswahn der Eltern mit den technischen Möglichkeiten der Überwachung nicht gedämpft wird, sondern sogar noch wächst.
Vielleicht ist es da kein Wunder, wenn sich zulasten der motorischen und gesundheitlichen Entwicklung der Kinder ihr Mobilitätsradius in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich verringert hat. Der britische «Children’s Play Council» spricht von einer Verringerung um 80 Prozent. Und die schwedische 40000-Einwohner-Stadt Trollhättan hat dazu eine Erhebung gemacht: 1925 hatten Kinder einen Mobilitätsradius von 6,5 Kilometern, 1950 von 1,5 Kilometern, 1975 von 500 Metern und 2000 von 100 Metern. Man könnte sagen: Herumstreunende Pippi Langstrumpfs, Huckleberry Finns und Lausbuben wie aus Ludwig Thomas Feder sind ausgestorben.
Das Thema «Schulweg» oder die Anfahrt zu Schulveranstaltungen ist ein Kapitel für sich. Hier liegen die Sorgen und Befürchtungen der Eltern um Lichtjahre neben der Realität, wie folgende Beispiele zeigen. Da gibt es das Elternpaar, das sich weigert, das eigene Kind mit dem Bus zum Skikurs mitfahren zu lassen, und darauf besteht, es selbst mit dem eigenen Auto hinzubringen. Begründung: Wenn mit Bussen etwas passiere, gebe es gleich immer viele Tote. Und da haben wir die Mutter, die ihre fast volljährige Tochter mit dem Wagen quasi bis vor die Tür des
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