Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
die Tochter bzw. den Sohn sei. Andere Eltern wollten sich in die Verhandlungen um einen Arbeitsvertrag ihres erwachsenen Kindes einmischen.
Umklammerung bis ins Erwachsenenalter
Doch die überzogene Umklammerung des Kindes beginnt bei einigen Eltern schon von Anfang an, im Säuglingsalter. Festmachen kann man das u.a. an der mehr als emotional geführten Debatte um das «Ob» und «Wie lange» des Stillens, wobei das bestimmende Moment die Stilldauer ist, die möglichst lang zu sein habe.
Gestillt werden bis kurz vor dem Schuleintritt und dann bis ins vierte Lebensjahrzehnt bei Mama zu Hause bleiben? Was wie eine Karikatur der Realität wirkt, kann Wirklichkeit sein, zumindest wenn es nach den Vorstellungen von Langzeitstillerinnen geht. Das Magazin Time hatte sich dieses Themas im Mai 2012 angenommen, nachdem sich in den USA bereits zehn Jahre zuvor – und offenbar nachhaltig wirkend – ein Kreuzzug für das Stillen formiert hatte. Auf dem Time -Titelbild ist auf einem Schemel stehend ein dreijähriger Junge abgebildet, dem seine 26-jährige Mutter, Jamie Lynne Grumet, die Brust gibt. «Are you mom enough?», lautet die große Headline. Die Mutter, die selbst noch als Sechsjährige gestillt worden war, ist Anhängerin der Attachement-Parenting-Bindungstheorie, die vorgibt: Stillen Sie, bis es nicht mehr geht. Lassen Sie Ihr Kind im Elternbett schlafen, bis es als Halbwüchsige beziehungsweise Halbwüchsiger von selbst nicht mehr will.
Welches Verhältnis Jamie Grumet einmal zu ihrem Sohn haben wird, wenn dieser dreißig Jahre alt ist, wissen wir nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er sich im Hotel «Mama» eingenistet haben. Seltsam: Während draußen die Globalisierung immer mehr Lebensbereiche erfasst, werden Zöglinge gleichzeitig zu Nesthockern. Immer häufiger ist statt weiter Welt das kleine Nest angesagt. Und Eltern klammern gerne, haben sie doch im Schnitt in Deutschland nur 1,36 Kinder. Da ist der Trennungsschmerz heftiger, als wenn man ihn vor Jahrzehnten mit drei oder vier Kindern mehrere Male aushalten musste und allmählich Übung darin gewann oder durchaus aus finanziellen Gründen zufrieden war, wenn die Kinder flügge geworden waren.
Heute aber haben wir die paradoxe Situation, dass so manche Eltern ihr Kind bis zum Gehtnichtmehr «pushen» und «tunen», damit es im globalisierten Haifischbecken bestehen kann. Gleichzeitig schirmen sie diese Welt von den Kindern ab. Und am Ende ist der Nachwuchs noch in einem Alter von zu Hause abhängig, in dem seine eigenen Eltern und Großeltern selbst schon Kinder hatten. Die Adoleszenz zieht sich damit oft bis zum 35. Geburtstag hin. Das sind 20 Jahre. Früher dauerte sie längstens sieben bis acht Jahre.
Psychotherapeuten haben dafür den Begriff «Peter-Pan-Syndrom» geprägt nach dem Protagonisten der ab 1902 erschienenen Kindergeschichten von James Matthew Barrie. Das im «Neverland» lebende Kind will nie erwachsen werden, denn dort erfüllen sich die Dinge bereits, wenn man nur daran glaubt. Dort sind ewige Kindlichkeit und Sorglosigkeit angesagt.
Hotel «Mama» für immer
Hotel «Mama» gibt es schon lange Zeit, vor allem in Italien – und nicht nur wegen der traditionell hohen Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen. Aber dass sie zu lange zu Hause bleiben, ist heute nicht mehr nur dort so. Die Statistik des Hochschul-Informations-Systems (HIS) von 2011 spricht für sich, denn es lebt mehr als die Hälfte der Studenten in Italien, auf Malta, in Spanien und Polen zu Hause. Europaweit sind es etwa 20 Prozent im Alter zwischen 25 und 34, die noch bei den Eltern leben – junge Männer häufiger als junge Frauen. Im EU-Durchschnitt 34 Prozent der Männer und 21 Prozent der Frauen. Deutschland liegt hier noch nicht über dem Mittelwert. Hier sind während des Studiums 20 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen noch zu Hause. Allerdings kehren auch viele noch nach dem Studium als «Boomerang Kids» zurück. Die Motive hierfür mögen unterschiedlich sein. Nachvollziehbar ist die Rückkehr ins Elternhaus, wenn sie aus finanziellen Nöten oder mit einer fehlenden Arbeitsstelle zu tun hat. Bedenklich aber ist sie, wenn verweigerte Abnabelung oder reine Bequemlichkeit Gründe für die Rückkehr sind.
Kinder müssen sich abnabeln dürfen, selbst wenn es die Eltern schmerzt. Namhafte große Psychologen konnten belegen, wie wichtig die Loslösung vom Elternhaus ist. Robert J. Havighurst etwa hat es als zentrale Entwicklungsaufgabe des
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