Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Jugendalters beschrieben, die Ablösung von der Familie zu vollziehen. Erik Erikson hat sogar den Begriff eines «Psychosozialen Moratoriums» geprägt. Er meint damit eine Art Karenzzeit, in der ein Heranwachsender beginnt, sich von den Eltern zu lösen.
Eine Universität für Eltern und Kinder
Was Bildungsinstitutionen des tertiären Bereichs seit einiger Zeit bieten, erleichtert freilich dieses Loslösen nicht gerade. Mittlerweile stolziert nämlich der frisch immatrikulierte Student an Mamis oder Papis Händchen in und durch die Universität. Seit 2005 gibt es an deutschen Hochschulen Informationsveranstaltungen speziell für Eltern – in Münster, Cottbus, Freiburg, Berlin oder Konstanz etwa. Ganze Informationswochenenden bietet man Eltern an, um ihnen die Uni vorzustellen. Die Touristeninformation Konstanz freut sich über die Beliebtheit der Aktion «Eltern auf dem Campus», das Beiprogramm mit Weinproben und Schiffchenfahrt fand regen Anklang. So gesehen war die Talkrunde bei «hart aber fair» vom 16. Juli 2012 mit ihrem Thema «Umsorgt vom Kreißsaal bis zum Hörsaal» nicht ganz realitätsfern.
Solche Realitäten werden längst auch in den USA kritisch beleuchtet: Es ist von einem «hyper-parenting», von «over-scheduled», «over-stimulated», «over-indulged kids» die Rede: «The pressure to manage every detail of our children’s lifes from in utero trough college is overwhelming.» Dabei haben spätere Studenten die Universität sogar in Deutschland womöglich schon im Grundschulalter kennengelernt, nämlich seit 2002 als Kinder-Unis an mittlerweile rund 50 deutschen Hochschulen. Ob das nun als Infantilisierung der Universitäten oder als Akademisierung der Kindheit zu werten ist, sei dahingestellt.
Und noch eins: Ein erheblicher Teil der Studienabbrüche rührt daher, dass die jungen Leute bei der Studienwahl Mamas und Papas Wünschen folgten.
Es gibt jedenfalls keine Alternative zum Loslassen. Ein nachdenkliches Wort Friedrich Nietzsches mag das von einer anderen Warte her beleuchten: «Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler bleibt.» Auf Eltern übertragen: Man vergilt es den Eltern schlecht, wenn man immer ihr unreifes Kind bleibt.
Übrigens: Auch Eltern müssen sich von ihren Kindern emanzipieren und nach dem Auszug des Kindes durchaus zu einer neuen Bestimmung ihrer Partnerschaft finden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass eine Ehe der allgemeinen Statistik folgt, die für die Zeit nach der Abnabelung der Kinder eine erhöhte Scheidungsrate ausweist.
Vergleiche und Checklisten
Eltern vergleichen gern – ihre Kinder mit anderen Kindern und mit Tabellen. Nicht nur in der Bildungspolitik, sondern sogar bei Eltern scheinen ein Rankingwahn, eine Testeritis und eine Messeritis ausgebrochen zu sein, die kleinste Abweichung von irgendeiner ominösen Normtabelle wird besorgt registriert: Mein Kind war bei der Geburt viel kräftiger und schwerer, jetzt ist es schon weiter als das Kind meiner Freundin, schon sauber, kann schon laufen, sagt schon «Papa». Ist das Kind dann einmal in der Schule, dann möchten manche Eltern am liebsten jede Woche einen aktualisierten Ausdruck aller bis dahin aufgelaufenen Einzelnoten. Die Entwicklung von Kindern taugt aber nicht für Elternrallyes und für einen neuen olympischen Vierkampf der Disziplin «schneller, höher, weiter – und jünger».
Der neueste Schrei sind Fötuspartys, bei denen angehende Eltern zusammen die 3-D-Bilder ihrer noch ungeborenen Kinder bestaunen. «Babywatching» kommt natürlich aus den USA. Man kann diese 3-D-Aufnahmen auch außerhalb ärztlicher Praxen haben. Für circa 230 Euro gibt es dann eine 20-Minuten-DVD – einstellbar ins World Wide Web.
Es soll Väter geben, die alles am Kind Registrierte, Entdeckte, Gemessene sofort in Excel-Tabellen dingfest machen. Es sind nicht nur die sprichwörtlichen Tennisvatis und Eislaufmuttis, die verkünden, dass die Tochter bereits mit drei Jahren Klavier spielt und der Sohn mit vier Jahren Golf – begleitet von einem tief überzeugten «Sie/Er wollte es selbst so». Fast alles, was der Stolz der Familie kann, wird mit der Videokamera gefilmt. Im Internet rühmen sich Mütter, dass sie mehr als 10000 Fotos von ihrem vierjährigen Kind besäßen. Überhaupt präsentieren manche Eltern das Können ihrer Prinzessinnen und Prinzen gerne im Internet, als seien ihre Kinder dressierte Zirkustiere. Dabei wäre es wichtiger, registrieren zu können: «Mein Kind kann
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