Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Summe sechs Milliarden. Damit haben Kinder in diesem Alter eine Kaufkraft, die um 50 Prozent über dem Betrag liegt, den das Saarland für 2013 mit 3,9 Milliarden Euro als Haushalt ausweist. Ein anderer Vergleich: Bayern zahlt in den Länderfinanzausgleich 3,9 Milliarden. Sachwerte, über die die Kinder verfügen, sind in die sechs Milliarden noch nicht eingerechnet, zum Beispiel dass 12 Prozent der 6- oder 7-Jährigen, 47 Prozent der 10- oder 11-Jährigen, 81 Prozent der 12- oder 13-Jährigen, 95 Prozent der 16- oder 17-Jährigen und 100 Prozent der volljährigen Heranwachsenden ein Handy besitzen (Quelle: Iconkids & Youth, 2011). Mountainbikes, ein eigener PC, ein eigenes TV-Gerät, Gameboy, Playstation, DVD-Player, MP3-Player oder iPod sind fast schon Standard.
Overdressed in Vorschule und Schule
Darüber hinaus sind die «Kids» heute auf Schickimicki gestylt. Mit No-Name-Klamotten könnte man in der Schule oder in der Disco nicht antreten. Das wäre uncool. Kultig ist für das Markenkind etwas anderes. Kultig sind Designerklamotten, der Original-Fußballerdress von Bayern München oder von ManU – Manchester United ist zumindest unter Jungs ohnehin Pflicht. Dementsprechend gehen den Kindern zig Markennamen leichter von den Lippen als so manche Vokabeln aus dem Englischunterricht. Und schon 4-Jährige haben erste Vorlieben.
Viele Eltern wissen ein Lied davon zu singen, was es heißt, wenn ihre Kinder die Schule als Laufsteg betrachten. Das Einkleiden der Kinder in der Boutique wird dann zum Kampf und das morgendliche Anziehen zum Drama. «Mit diesen Fetzen kann ich mich nicht sehen lassen, damit steh ich ja da wie ein Asi.» Soll heißen wie ein Asozialer. So oder noch deftiger fallen dann die Weigerungen aus, ein T-Shirt von der Stange überzuziehen. Was Wunder, dass das Wort vom Markenterror die Runde macht.
So ist es keine Seltenheit, dass 10- oder 12-Jährige mit Kleidung im Wert von 500 Euro und mehr am Leib in die Schule marschieren – Handy nicht mitgerechnet. Vor und zwischen den Stunden, im Schulbus und in den Pausen genießt man dann als Style-Schüler die tatsächlich oder vermeintlich neidvollen Blicke der Mitschüler. Es gibt nicht wenige Schülerinnen und Schüler, die bereit sind, für dieses Gefühl alles Erdenkliche anzustellen. Für den Kauf der ersehnten Kleidung an der Tankstelle oder im Supermarkt zu jobben ist eine gangbare Methode, obwohl darunter nicht selten die schulischen Leistungen leiden. «Durchgefallen, aber overdressed» könnte es dann heißen – oder treffender noch: «durchgefallen, weil overdressed».
Nicht zuletzt ist wichtig: Die Kinder und Jugendlichen heute, auch die jungen Eltern, sind eine Generation von Erben. Laut Analyse der Dresdner Bank werden deutsche Eltern und Großeltern allein zwischen 2011 und 2015 rund 1,3 Billionen Euro an ihre Kinder vererben.
Kein Verzicht auf Verzicht
Die nachfolgende Generation stellt damit einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar – in den USA nicht anders als in Deutschland. In den USA heißen die Kinder deshalb «Skippies» – «school kids with income and purchasing power». In beiden Ländern erfolgt der Markteintritt der Kinder außerdem immer früher. Bereits ab dem sechsten Geburtstag treffen Kinder erste selbständige Kaufentscheidungen. Nutznießer sind so in wachsendem Maße der Spielzeug-, Medien- und Elektronikmarkt. So steigerte sich der Umsatz auf dem deutschen Spielzeugmarkt, Videospiele nicht eingerechnet, von 2007 bis 2010 um 22,7 Prozent von 2,2 auf 2,7 Milliarden – und das trotz eines Rückgangs der Zahl der Heranwachsenden unter 20 Jahren um 6,2 Prozent von 19,4 auf 18,2 Millionen.
Eine Rolle bei der materiellen Ausstattung und Verwöhnung von Kindern und Jugendlichen spielen Helikopter-Großeltern, die ihrer immer geringer werdenden Zahl an Enkeln oft mit Geschenken in einer Größenordnung aufwarten, die selbst verwöhnenden Eltern den Zorn ins Gesicht treibt. Leben die Eltern oder die Großeltern gar in serieller Monogamie in Patchworkfamilien, so hat ein einzelnes Kind nicht selten die doppelte Anzahl an es betütelnden Erwachsenen um sich bzw. am Hals.
Gerade in solchen oder ähnlichen Patchworkfamilien ist die Übergratifikation ein Problem: «Tschüsi, Mami, ich gehe zu Papa, der macht mehr locker!» Dieser Papa – oder unter umgekehrten Vorzeichen die Mama – ist dann durchaus bereit, dem bzw. der Ex eins auszuwischen und das Gebotene zu übertreffen, indem sie oder er für das
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