Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
aufräumen, Kleidung sortieren, Pausenbrot schmieren, Wasser aus dem Keller holen, Haustier versorgen, Blumen gießen, staubwischen oder Kartoffeln schälen. Man mag es zuerst nicht glauben, aber für Heranwachsende, gerade für Kinder im Vorschul- und im Grundschulalter, kann vieles davon zu einer spannenden Entdeckungsreise werden. Darin kann mehr Förderung liegen, als in der Hektik des Tages und aus einem schlechten Gewissen heraus mit dem Kind schnell ein Lernspiel durchzuziehen.
Es sollte eigentlich der Grundsatz gelten, Kindern nie etwas abzunehmen, was sie für sich selbst oder für die Familie erledigen können, selbst wenn sie dafür etwas mehr Zeit brauchen als die routinierte Mutter. Ihnen entgeht nämlich sonst etwas Wesentliches. Kommen sie dann ins Jugendalter, dürfen die Anforderungen durchaus steigen: Sie können dann schon gelegentlich eine Mahlzeit für die Familie kochen, kleinere Reparaturen ausführen und eine Spülmaschine bedienen.
Die Neigung von Eltern, Kinder von allem Möglichen zu verschonen, wird oft damit begründet, dass eine Verrichtung zu gefährlich sei. Wer seinen Kindern aber keine Möglichkeit gibt, sich grob- und feinmotorisch zu erproben, wer ihnen jedes Messer, jeden Schraubenzieher oder nur im entferntesten gefährlichen Gegenstand wegnimmt, wer die Kinder auf keine Mauer und keinen Baum hinaufkraxeln lässt, der wird dafür sorgen, dass sein Kind nicht lernen und beweisen konnte, sich geschickt anzustellen. Es wird sich so am Ende wirklich häufig verletzen.
Für ein Kind ist das zunächst bequem und ohne jede Gefahr. Es kommt damit allerdings die Botschaft rüber: «Das kannst du nicht. Dafür bist du zu klein und noch zu dumm.» Damit aber können Kinder keine eigenen Erfahrungen mit Gefahren sammeln und lernen, mit Risiken richtig umzugehen. Übrigens: Es muss auch durchaus einmal eine Niederlage bei einem Spiel in der Familie ausgehalten werden können. Man sollte Kinder also nicht nur gewinnen lassen, denn wenn das Kind dies merkt, steht am Ende ein Sieg mit schalem Nachgeschmack.
Kurzum: Es darf durchaus sein, dass ein Kind hinfällt, sich irgendwo einklemmt oder vom Regen nass wird. Und es darf eine kleine Verletzung sein, die sich ein Kind einhandelt. Das gehört mit zum Leben. Wendy Mogel hat dies in ihrem Buch «The Blessing of a Skinned Knee» (2008) treffend dargestellt. «Die Segnung eines aufgeschürften Knies», so sieht es die Autorin und kritisiert aufgrund ihrer Erfahrungen mit Kindern wohlhabender Eltern in Hollywood, dass viele ihren Sprösslingen einimpfen, draußen sei alles voller Gefahren und jedes Missgeschick bereits nahe an der Katastrophe. Deshalb ist es vollkommen korrekt: Fehler zu machen und sie selbst wieder auszubügeln muss sein. Das fördert Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Selbstsicherheit der Kinder. Sonst nehmen ihnen die Eltern den Stolz auf das Erreichte.
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Familie heute und morgen
Bei all dem gerade Beschriebenen muss man mit einbeziehen, dass sich die Lebensumstände Heranwachsender nicht nur in den letzten Jahrhunderten, sondern beschleunigt in den letzten drei bis vier Jahrzehnten stark verändert haben – zumindest in der sogenannten Ersten Welt. Damit ist eine neue erzieherische Verantwortung verbunden, für deren Erfüllung es keine Vorbilder aus mehreren Generationen gibt.
Um die Veränderungen zu verstehen, lohnt sich ein kleiner historischer Exkurs.
Waren Kindheit und Jugend immer schon so?
Seit es Menschen und ihre verschiedene Kulturen gibt, sind Kindheit und Jugend im ständigen Wandel. Die Kindheit hat es nie gegeben und wird es nie geben. Ob es eine Jugend früher überhaupt gab, ist ohnehin umstritten. Kindheit und Jugend bzw. das, was man sich jeweils darunter vorstellt und was man davon erwartet, waren und sind abhängig von der jeweiligen kulturhistorischen Epoche. Kindheit und Jugend sind keine anthropologischen Konstanten, sondern zeitgeschichtliche Konstrukte. Umgekehrt gilt: Wie eine historische Epoche ihre Heranwachsenden sieht, sagt viel über die jeweilige Epoche aus. Es liegen allerdings nicht einmal untereinander stimmige historische Darstellungen von Kindheit bzw. Jugend vor. Kindheit war eben tatsächlich mal so und mal so.
Eine der ältesten Fundstellen zu Kindheit und Jugend dürfte ein babylonischer Tonziegel sein. Er dokumentiert, dass manche Urteile über die Jugend so alt wie die Menschheit selbst sind. «Diese Jugend ist verdorben, gottlos und faul. Mit ihr
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